Donnerstag, 10. Juni 2010

Der 30. Geburtstag

Als ich zehn Jahre alt wurde, war ich sehr aufgeregt und stolz: Meine erste „0“. Vor mir lag ein goldenes Tal voller Geheimnisse und ich konnte kaum erwarten es zu durchwandern. Bald würde ich ein Teenager sein und darauf freute ich mich ungemein. Ich würde sein, wie all die Frauen, die ich seit Kindertagen bewunderte und die meine Vorbilder waren: Ich wollte einmal so werden wie Marilyn Monroe, so betörend schön und wundervoll, oder wie Sissi, rein und zart, oder wie Nena laut und lebensfroh. Ich wollte tanzen gehen an Samstag Abenden, tolle weibliche Klamotten tragen und endlich fraulich aussehen.
In einigen Jahren würden mir Jungs den Hof machen, mich umschwärmen und ich dürfte mir einen aussuchen, der mir am besten gefiel und ihn dann heiraten – wow! Nur noch ein paar Jahre ☺

Als ich zwanzig wurde, war ich sehr aufgeregt und stolz: Meine zweite „0“. Vor mir lag eine aufregende Welt voller Abenteuer: Große Städte, die von mir bereist werden wollten. Ein aufregender Job, der glamourös und anspruchsvoll zugleich sein sollte. Ich träumte davon, eine stylische Wohnung in einer hippen Gegend zu mieten, die neusten Klamotten zu tragen, in die angesagtesten Clubs zu gehen und jede Menge erfolgreiche, kreative Menschen kennen zu lernen. Junge, aufregende Männer würden mich daten wollen und tolle Sachen mir mir unternehmen und ich würde mir einen aussuchen, der mir am besten gefiel und eines Tages mit ihm zusammenziehen... wow!

Mit Mitte zwanzig sah ich zum ersten Mal ein Folge der Serie „Sex in the City“, das muss so vor sieben oder acht Jahren gewesen sein. Ja, genauso sollte mein Leben auch sein. Tolle Jobs, tolle Klamotten und auf der Suche nach Mr. Right. Das die Charaktere natürlich sehr überzogen dargestellt wurden und deren ausschweifendes Sexleben nichts mit der Realität zu tun hatten, war mir klar – die Serie diente der Unterhaltung und die unglaublichen Beziehungen die die Mädels da zu den Männern hatten, waren in ihrer Überzeichnung einfach nur lustig – in etwa wie bei einem Quentin Tarantino Film. Für mich jedenfalls. (Auch wenn die Frauen immer wieder gern behaupten, sie würden GENAUSO über Sex reden wie Männer: Es stimmt nicht!) Und doch gab es etwas, dass störte und irgendwie nicht ganz passte: Das Alter der Hauptdarstellerinnen...! Die waren immerhin schon Mitte 30. Mein Leben mit Mitte 30 kann doch nicht genauso verlaufen, wie meines jetzt?! Die Vorstellung jedenfalls, mit 35 noch immer jeden Samstag auszugehen, keinen festen Partner zu haben und in Klamotten rumlaufen, die eigentlich aussahen, als seinen sie für 10 Jahre jüngere Frauen gemacht, gefiel mir nicht. Aber Gut...

...ein paar Jahre später: Ich bin 29 Jahre alt, und zwar zum letzten Mal in meinem Leben. Morgen ist mein 30. Geburtstag und ich fühle eigentlich gar nichts. Die letzten Jahre und Monate hatte ich gefühlte 1000 mal erzählt bekommen, dass das Alter bzw. 30 nur eine Zahl ist. Eine Zahl ohne Inhalt und ohne Bedeutung. Alter sei etwas gefühltes und jeder Mensch über 30 den ich kennen gelernt hatte betonte als erstes, dass er sich ja irgendwie gar nicht so fühle, sondern eher wie Mitte 20, oder so. Nun ja, von daher würde sich für mich ab morgen also einfach mal nichts ändern – alles wie gehabt, immer munter weiter. Dann Gute Nacht und bis morgen...

...Als ich dreißig wurde war ich weder aufgeregt noch stolz: Meine dritte „0“. Vor mir lag – ja, was eigentlich?
Das gleiche was hinter mir lag?! Ich hatte schon länger keine Lust mehr von Freitag bis Sonntag durchzufeiern und kam mir auf den Mädchenklos in Diskotheken schon seit ein bis zwei Jahren vor, wie eine Erzieherin im Kindergarten. Ich genoss es sogar einfach mal Samstags zu Hause zu bleiben und mich AUSZURUHEN, dass kam für mich so unerwartet und war so neu, dass ich es kaum glauben konnte und staunte...
Aber egal, ich wollte ja jetzt eigentlich wissen, was vor mir liegt – bisher hatte ich das immer gewusst und mich gefreut und geträumt von den Dingen, die mich erwarteten – doch diesmal: nichts.
Da war nichts...
Was ist man denn mit 30? Was macht man denn mit 30?
Was kann ich erwarten von den nächsten Jahre? Worauf kann ich hoffen? Sollte ich genau das tun, was ich die letzten zehn Jahre schon getan hatte? So wie die Frauen aus „Sex and the City“?
Sollte ich ab jetzt also damit beschäftigt sein 20 - zu - bleiben???
So tun, als sei ich noch jemand, der ich doch längst nicht mehr war? Das wurde mir in diesem Moment schlagartig bewusst. Eine Veränderung, die schon längst begonnen hatte und die viel mehr mit sich zog, als Samstags nicht in die Disko zu gehen. Ich wachte morgens auf, mein 30. Geburtstag und ich war nicht mehr der selbe Mensch, als der ich gestern noch eingeschlafen war.
Das hatte ich nicht erwartet.
Jeder dem ich begegnet war hatte mir geschworen, dass dieser Geburtstag nichts zu bedeuten hätte, dass man sich so fühlen würde wie immer, und das sich rein gar nichts ändern würde – und da lag ich nun morgens in meinem Bett und war innerhalb von wenigen Stündchen nicht mehr ich – wer war ich nun?
Wer würde ich sein?
Immer noch: nichts! Neben diesem Nichts kletterte ein weiteres irritierendes Gefühl in mir empor, das mir zu groß schien für diesen kleinen Moment und doch war es ganz deutlich zu spüren: Sterblichkeit. Ich fühlte mich mit einem Schlag sterblich und undefinierbaren Gefahren ausgesetzt...
All die Krankheiten von denen man so las und die einen nicht weiter interessierten, weil sie nicht auf Menschen meines Alters fielen waren plötzlich in meine Nähe gerückt worden, und so verhielt es sich auch plötzlich mit anderen Dingen: Existenzangst, Einsamkeit, Älter werden und seine Attraktivität verlieren: alles Dinge, die auf einmal MÖGLICH waren. Ich fühlte mich, als hätte ich ein Höllentor durchschritten.
Überwältigt von dieser neuen Angst, hätte ich mich am liebsten (auch) in die Idee geflüchtet, alles sei wie bisher und ich fühle mich auch noch genau wie gestern – aber das gelang mir nicht und es wäre auch quatsch gewesen. Es war ja DA und man kann seinen Haaren auch keine andere Farbe aufquatschen: Ich bin jetzt 30 und alles ist anders als zuvor! Wahnsinn! Darauf war ich nicht vorbereitet.

Ich machte mich auf die Suche, nach Menschen, die fühlten wie ich, und was soll ich sagen, oh Wunder, ich habe niemanden gefunden!
Wenn ich nun gefragt wurde, wie alt ich bin und ich antwortete: 30 – dann gab es genau EINE Antwort, die JEDER parat hatte: „...aber du fühlst dich doch nicht so!“ Und wenn ich dann antwortetet: "Doch, ich fühl mich wie 30 genauso und zwischen meiner 27jährigen Seele und der jetzigen liegen Welten", konnte ich Menschen in einen regelrechten Schockzustand versetzen und restlos überfordern! Ich habe bis heute NIEMANDEN getroffen, der nicht geschockt ist, wenn ich NICHT sage, ich fühle mich aber wie 27.
Doch was soll ich sagen: es ist die Wahrheit: Ich bin 30 und fühl mich auch so! Als ob man ein schweres Verbrechen gestehen würde, so stehen die Leute vor mir und glotzen mich ratlos an!
Kein 30jähriger kann mir sagen wo im Leben er steht. ALLE die ich traf waren damit beschäftigt 20 zu bleiben. Und damit kann man sich auch gut und gerne 24 Stunden am Tag beschäftigen, denn: Schlank bleiben, jung aussehen, und jeden Samstag durch die Clubs ziehen - das wird richtig mühsam mit der Zeit! Aber es ist das, womit sie alle beschäftigt waren. Auch meine Vorbilder aus Teenietagen, allen voran: Madonna!
Auf meine Bemerkung hin, dass vor mir irgendwie nichts zu liegen scheint, bekam ich den Rat: Das ist doch wunderbar – du bist frei und du kannst die Zeit füllen, mit dem was du willst. Du kannst dir deine Zukunft doch selbst erschaffen:
Tu was du willst!

Tu was du willst? Der Satz kam mir so merkwürdig bekannt vor...
Tu was du willst – was könnte das denn sein? Was kann man sich denn wünschen von NICHTS?
Hatte ich keine Wünsche mehr? Den letzten Wunsch bereits verbraucht?
Klar wünschte ich mir irgendwie, dass alles wieder so wäre wie mit Mitte 20 – aber das ist ein Wunsch ins Leere...

Das war es also, wozu ich geboren war? Um 20 zu werden und 20 zu BLEIBEN! Sonst also, war da nichts? Ich würde jetzt genauso weitermachen müssen wie bisher: Feiern, Daten, darauf hoffen, das der Richtige irgendwann dabei sein würde...
HALT! STOP! MOMENT!
...das der Richtige irgendwann dabei sein würde? War es nicht genau das, was mich die letzten Jahre angetrieben hatte? Taten meine Freundinnen und ich nicht alles, was wir taten, in der Hoffnung, dass der Richtige irgendwann dabei sein würde? - hätte er nicht schon längst dabei – sein – müssen?
Seit wann spielen sich die großen Liebesgeschichten zwischen Mitte 30jährigen ab? Und war es auch nicht das, was mir bei „Sex and the City“ schon immer schräg vorkam?
Hatte ich ihn übersehen? Hatte ich die RICHTIGE Ausfahrt bereits verpasst? Konnte ich deshalb vor mir nichts sehen, weil ich mich bereits verfahren hatte?
Die Vorstellung, jetzt weiter zu suchen – sie stimmte nicht! Falsch, ganz falsch!
Das würde bedeuten: Ich muss JETZT jemanden treffen der mir gefällt, ich muss ihm gefallen, dann müssen wir mindestens zwei Jahre zusammen sein, bevor wir vielleicht eine Familie planen, was ist wenn wir dann erst merken, wir passen doch nicht zusammen? Dann wieder einen suchen? Was, wenn es noch drei Jahre dauert bis ich ihn finde? Und der sich dann doch als der falsche entpuppt? Genauso genommen hieße das: Der nächste MUSS der Richtige sein. Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass der Nächste der Richtige ist, wenn er doch bis jetzt auch noch nicht dabei war??? Er muss also schon da gewesen sein, doch höchstwahrscheinlich hab ich ihn übersehen??? Ist das das „Ticken der biologischen Uhr“ von der sie immer alle reden? PANIK!!!

...und wieso behaupten ALLE Weiber eigentlich immer noch allen ernstes, dass man keinen Mann braucht um im Leben wirklich glücklich zu sein?!

Freitag, 14. August 2009

Kinderwunsch und Familie

Ich habe keinen Kinderwunsch.
Wenn ich gefragt werde ob ich Kinder möchte, so ist die einzige Antwort die ich geben kann: Ich möchte nicht keine Kinder haben! Und diese Antwort ist wahr. Ich möchte wirklich nicht keine Kinder haben. Genau das ist es, was ich fühle. Nun könnte man daraus eigentlich schließen: Sie will also Kinder. Aber diese Antwort wäre falsch.
Ausschließlich der Gedanke keine Kinder zu haben ist für mich ausgeschlossen. Vor allem, wenn ich mal alt bin. Ich habe keine Vorstellung, keine Bilder und keine Ideen von der Zeit dazwischen oder wann genau ich Kinder möchte (momentan ist die Antwort jedenfalls „später“) aber Fakt ist: Ich möchte nicht keine Kinder haben!

Die Mütter meiner Freundinnen und Bekannten waren alle Anfang 20 als ihre ersten Kinder zur Welt kamen. Die Frauen in meinem Freundeskreis und ich sind alle Anfang 30 und kinderlos. Es muss also in den 70ern aus irgendeinem Grund normal gewesen sein so wahnsinnig jung Kinder zu bekommen. Ich hatte in dem Alter gerade mal meine erste eigene Wohnung. Unsere Mütter lebten da schon mit ihren Ehemännern zusammen.
Von meinen Freundinnen ist auch keine einzige Verheiratet oder denkt auch nur daran.
Waren unsere Mütter so unvernünftig oder naiv, dass sie nach zwei Jahren Beziehung ihren Freund gleich heirateten und glaubten sie hätten die große Liebe gefunden? Zwang man sie vielleicht dazu, weil Frauen Mitte der 70er als Unanständig galten, wenn sie allein lebten? Hatten sie keine individuellen Träume oder Wünsche in Bezug auf ihre Zukunft? Hatten sie keine Talente oder Anlagen die sie erst Ausleben wollten, bevor man sie an Haus und Kinder „fesselte“? Wollten sie nicht erst ein eigenes Leben aufbauen, eine Persönlichkeit herausbilden, Erfahrungen sammeln, selbstständig werden und auf eigenen Füßen stehen. Hatten sie an das Leben denn gar keine Ansprüche?
Oder waren sie die Opfer eines männlichen Machtanspruches?
So jedenfalls hatte man es uns beigebracht. Das dümmste was man als Frau überhaupt machen konnte, war heiraten und Kinder bekommen. Und mit Anfang 20 war das auch so ziemlich das Letzte, was ich wollte!
Sobald man die Worte Heirat oder Kinder auch nur hörte baute sich eine riesige innere Sperre auf ohne sich zu fragen ob man das denn vielleicht mal möchte oder nicht. Allein sich diese Frage zu stellen, dazu waren wir nicht in der Lage.

Wie ist dieser Unterschied zwischen den Generationen zu erklären?

Alice Schwarzer vertritt dazu folgenden Standpunkt: "Es mangelt den jungen Frauen (heute) nicht mehr an (...) Vorbildern: von der Gerichtspräsidentin bis zur Nobelpreisträgerin, von der Kommissarin bis zur Rennfahrerin, von der Bankerin bis zur Künstlerin, Selbst in Hollywood agieren inzwischen Frauen, die schon lange nicht mehr nur ihr schönes Gesicht hinhalten, sondern ihre Filme auch selbst produzieren(...). Und auch davor, dass es trotz allen Fortschritts noch Probleme gibt bei der viel beschworenen „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, verschließen zunehmend weniger Frauen die Augen. Sie ziehen sogar Konsequenzen: Sie heiraten immer weniger und immer später. (...) Und sie bekommen immer weniger Kinder.
Niemand sagt es laut, aber: Wir befinden uns in Deutschland mitten in einem virulenten Geburtsstreik."

Vielleicht hat Alice diesmal sogar Recht – wenn auch anders als sie es meint, denn: So viele Vorbilder wir auch hatten, ein ganz bestimmtes hatten wir nicht: Das einer „Mutter“! Die Mutter im klassischen Sinn, war in unserem Leben einfach nicht vorhanden. Es gab sozusagen keine Mütter.
Ich war seit meinem vierten Lebensjahr, also seit dem Erwachen meines Bewusstseins, im Kindergarten. Die Mütter all meiner Freunde, und all der Kinder denen ich dort begegnete waren also berufstätig. Etwas anderes kannten wir nicht. (Lange Zeit verstand ich auch nicht wirklich, warum es ein „Problem“ geben soll in Bezug auf „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ – dieses Problem hatte ich niemals erlebt.)
In meiner Welt waren arbeitende Väter UND Mütter das normalste überhaupt.
Wie gesagt, es gab schlichtweg gar nichts anderes!
Was ich damals noch nicht wusste: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schien kein Problem zu sein, da das, was Menschen wohl unter Familie verstehen, so gut wie gar nicht stattfand.
Gemeinsame Mittagessen, eine Mutter die kocht und ein Vater der mit mir das Fahrrad repariert oder ein Baumhaus baut – gab es nicht. Ich bekam manchmal abends eine Geschichte vorgelesen oder es wurde auch mal am Wochenende in den Zoo gegangen – aber mein eigentliches Leben fand im Kindergarten statt. Wenn meine Mutter mich dort abholte war es 18 Uhr, zu Hause angekommen musste sie erstmal tausend andere Sachen erledigen, einkaufen, abwaschen, aufräumen, bügeln. Und mein Vater war um die Zeit noch gar nicht da. Bettfertig machen regelte ich allein, dann hörte ich noch Kassetten – und das wars.
Keine Ahnung was in Familien geschieht in denen die Mutter zu Hause ist?!

Auch in der Schule existierte das „Thema“ Familie im klassischen Sinne kaum bis gar nicht. Im zweiten Schuljahr (83/84) überflutete eine Scheidungswelle unsere Klasse. Zu Beginn des Schuljahres waren alle Eltern meiner Mitschüler noch verheiratet gewesen. Ein Jahr später waren es noch weniger als die Hälfte. Nach Abschluss der Grundschule waren nur noch die Eltern von insgesamt drei Schülern (mich eingeschlossen) verheiratet. Ich kam mir irgendwie merkwürdig dabei vor. Warum waren meine Eltern noch nicht geschieden? Stimmte mit ihnen vielleicht etwas nicht?
Während dieser Zeit hatten wir erfahren, dass die Möglichkeit der Scheidung eine neue Errungenschaft gewesen war, die erst seit Kurzem existierte, und etwas, dass Menschen, ganz besonders Frauen, früher nicht tun durften. Auch wenn der Mann sie schlug oder Fremdging. Eine geschiedene Frau galt als etwas Schlechtes.
Und erst vor weniger Zeit hatte die Menschheit erfahren, dass eine Frau kein schlechter Mensch ist, wenn sie sich scheiden lässt – sondern genau das Gegenteil: Eine aufrechte Person, die sich den Problemen des Lebens stellt, sich nicht abhängig macht von einem Mann, sondern ihr Leben selbst in die Hand nimmt!
Ich konnte kaum fassen, dass das nicht schon immer so gesehen wurde...
Was war den mit den Menschen bloß los gewesen?

Auch hier liefert Alice Schwarzer eine scheinbar passende Erklärung:
„Jede geschlagene oder vergewaltigte Frau glaubte lange: Ich bin die einzige. Sie wusste nichts vom Leid der Millionen anderen. Denn die Gewalt in der Familie war ein totales Tabu, bis die Frauenbewegung kam.
Die Familie (...) ist ein Phantom. Sie taugt wenig als Urzelle einer künftigen Gesellschaft, denn sie basiert auf Hierarchie und Abhängigkeit, Macht und Gewalt.
Der Zerfall der traditionellen Familie ist ein langer Prozess (...) die Emanzipation der Frauen hat der patriarchalen Familie endgültig das Fundament entzogen.“

Auch in meinen späteren Teenagerjahren gab es weder Auseinandersetzungen zum Thema Familie oder Mutterschaft. Schwangerschaften waren etwas, das es um jeden preis zu verhindern galt. Nichts Schlimmeres konnte einem Mädchen im Teenageralter geschehen als Schwanger zu werden. Verhütung war das Thema Nr. 1 – ob in der Schule in den Medien oder im Bekanntenkreis. Informationen darüber, was im Fall einer ungewollten Schwangerschaft zu tun war, gab es in Hülle und Fülle. Jugendberatungsstellen, die Budgets für Abtreibungen zur Verfügung hatten, und einen Begleiteten, ohne das Eltern davon etwas mitbekommen sollten, Informationsbroschüren von Pro Familia, die wir im Unterricht erhielten, oder unsere Frauenärzte, welche die Möglichkeit boten, „die Pille danach“ zu verwenden – wie mach ausrechnet, wann und wie genau diese zu verwenden sei, lernten wir ebenfalls in der Schule.

Als ich bereits eine junge Frau war, hatte sich an dieser Sicht nichts verändert. Als ich einmal in einer Runde zusammen mit Kolleginnen meiner Ausbildungsstätte saß und erzählte, dass wenn ich vielleicht mal Kinder hätte, ich sie auch gern selbst betreuen würde, waren sich alle einig, dass dies „Verschwendung“ sei. Ob ich denn gar keinen Stolz hätte. Man erlernt doch keinen anspruchsvollen Beruf um dann nur noch in LALA-Sprache zu kommunizieren. Auch meine Mutter war der Meinung, dass man heute nicht mehr zu Hause bleiben muss, auch wenn es sehr viel schönes hatte und diese Zeit ja nicht „nur“ vergeudet wäre.
Nun, vielleicht hatten sie ja auch irgendwie Recht?
Warum also, sollte ich mir Kinder wünschen? Die ganze zusätzliche Arbeit und das Gehetze, das meine Mutter veranstalten musste um zwischen Feierabend und Kind abholen auch noch einzukaufen, das würde ich mir gerne ersparen. Zwei Menschen im Haus (also Mann und Kind) durch die sich die Hausarbeit auch noch verdreifacht – also Danke aber auch darauf kann ich gut verzichten. Und dann musste man auch noch irgendwie immer mit Trennung oder Scheidung rechnen – und für diesen Fall planen.
Ich hatte so schon (als Single) kaum Zeit meinen Kühlschrank rechtzeitig zu füllen, meine Wäsche zu machen oder Papierkram zu erledigen. Ich kann so schon immer erst um sieben Heim und war erschöpft genug, nachdem ich meine eigenen Sachen geregelt hatte. Ich musste doch alles allein bewältigen und diese Unabhängigkeit zu bewahren war schließlich das wichtigste.
Mit Mitte 20 wusste ich also: es gibt vielleicht Frauen, die das irgendwie hinkriegen – aber ich gehörte nicht dazu! Mir war der bloße Gedanke schon zuviel.
Wozu sollte das auch gut sein? Was würde ich schon verpassen? Einfach mal gar nichts! Ich konnte immer weniger nachvollziehen, dass es überhaupt Leute gab, die Kinder wollen. Meine Freundinnen sahen das genauso wie ich!

Bis heute habe ich das Gefühl, das sich mein Bewusstsein zum Thema Kinder und Familie seit dieser Zeit eigentlich kein bisschen weiterentwickelt hat. Bis Anfang 30 war ich mit der Umsetzung meiner beruflichen Pläne so vollständig beschäftigt, dass ich mir über Kinder und Familie keine großen Gedanken gemacht hatte. Schwanger werden ist das, was es zu verhindern gilt! Und erstaunlicherweise, denke nicht nur ich so.
Vor ungefähr einem Jahr lernte ich das erste Mal eine Frau in meinem Alter kennen, die heiraten wollte und bereits schwanger war. Wir kamen ins Gespräch und ich hatte viele Fragen an sie. Genau wie ich hatte sie kein Bild und keine Vorstellungen davon, wie die Zeit mit Kind aussehen könnte. Und obwohl das Kind geplant und die Schwangerschaft gewollt war, fühlte sie sich wie eine 15jährige, die nicht „aufgepasst“ hatte. Die innere Schranke, die dafür zuständig war auf gar keinen Fall schwanger zu werden war noch immer aktiv. Begegnete sie ihren Eltern, so fühlte sie sich wie ein Teenager, der die Eltern mit seiner Schwangerschaft in eine schreckliche Situation bringt und sie schämte sich sogar ein bisschen dafür. Ebenso vor ihren Freundinnen, die allesamt weder daran dachten schwanger zu werden, noch mit der Schwangerschaft ihrer Freundin etwas anzufangen wussten. Und auch sie selbst konnte noch immer keinen „echten“ Kinderwunsch fühlen. Sie wusste nur „gar keine Kinder haben, dass möchte ich irgendwie nicht.“
Erstaunlicherweise, hatten ihre Eltern auch fast auf diese Nachricht reagiert, als sei ihre erwachsene Tochter ein unvorsichtiges Kind. Die erste Reaktion: War es gewollt? Wieso denn so früh, heutzutage muss man das doch gar nicht mehr. Du bist doch jetzt erst 32! Ich dachte du möchtest erst „später“ Kinder!
Auch ihre Freundinnen hatten ähnlich reagiert. Und das beliebteste Gesprächsthema war nun die Verhinderung von Schwangerschaftsstreifen und ab wann man wieder in den Beruf einsteigen sollte. Natürlich so schnell wie möglich!
Das war es worum es ging, wenn man sich erlaubte überhaupt Kinder zu bekommen.
Wenn man sich gestattete, das Verbot zu übertreten.


Also wünschte ich mir einfach keine Kinder – und dennoch, etwas in mir flüsterte:
Ich möchte nicht keine Kinder haben...

Ich glaube, dass es mal Anlagen in mir für einen Kinderwunsch gegeben haben muss. Schließlich spielte ich als kleines Mädchen täglich „Mutter und Kind“ oder schob meine Puppen im Kinderwagen vor mir her. Jedoch glaube ich, dass diese Anlage über die Jahre verkümmert ist und meine Seele die einzige Möglichkeit hatte mir diesen verschwurbelten Wunsch zu schicken, damit ich sie überhaupt hören kann.

Dienstag, 24. März 2009

Sexualität und Schamgefühl

Den ersten Sexualkundeunterricht hatten wir zu Beginn der fünften Klasse. Dort lernten wir, was wir eh schon wussten. Ich weiß wirklich nicht woher, aber man bekam es mit. Es gibt keinen expliziten Moment, in dem ich von Sex erfuhr – wir wussten einfach schon wo die Babys herkamen. Neu waren allerdings die Details. Wie lange dauert der Zyklus einer Frau, wann genau ist man fruchtbar, was geschieht mit einem befruchteten Ei und so weiter.
Ich weiß noch, dass wir Mädchen am liebsten die ganze Zeit gekichert hätten. Allerdings war das etwas absolut Verpöntes, denn wer kicherte, outete sich als „unreif“ und zwar nicht den Mitschülern gegenüber sondern den Lehrern, die einem umgehend unterstellen noch nicht verstanden zu haben, dass es sich bei der Fortpflanzung um etwas „ganz Natürliches“ handelt. Um etwas so Selbstverständliches wie z.B. Nahrungsaufnahme. Nur dumme, oder besonders konservative Menschen, dachten bis heute, Sex sei etwas „Schmutziges“ wegen dem man sich schämen sollte – oder das man erst tun durfte, wenn man verheiratet war.
Überhaupt „Scham“ so etwas gibt es ja eigentlich gar nicht, ein „Arm“ sei auch nur ein Körperteil, genauso wie ein Geschlechtsorgan. Einleuchtend!
Diese Auffassungen, schreibe ich nicht allein dem Unterricht zu, diese Auffassungen waren eine Mischung aus dem, was wir in der Bravo lasen, im Unterricht lernten und dem aktuellen Zeitgeist, den wir natürlich verinnerlicht hatten. Wir waren ja in diese Zeit hineingeboren.
Wir wussten ganz genau, was alles auf uns zukommen würde, wenn wir erstmal Teenager waren. Mit 13 würde man den ersten Freund haben und mir 16 den ersten Sex – schließlich war das laut der damaligen Statistik das Durchschnittalter für „das erste Mal“ junger Mädchen und wir wussten, dass es keinen Grund gäbe „zu warten“. Schließlich ist Sex etwas ganz Natürliches, Normales. Jedes Motiv, anders mit diesem Thema umzugehen, wäre albern oder unvernünftig.
Wir wussten, dass dann irgendwann der erste Liebeskummer käme und dann wieder der nächste Freund.

Ich kann mich allerdings noch erinnern, dass ich manchmal nachts wach lag und Panik bekam, bei dem Gedanken daran, dass ich „es“ eines Tages tun müsste. Ich wusste ja, dass mir das unweigerlich bevorstand. Jeder Mensch tat es schließlich, also würde auch ich es eines Tages tun müssen.
Wenn ich Panik sage, gibt es kein besseres Wort, das diesen Zustand beschreibt. Eine ganze Zeit lang beherrschte diese Tatsache meine Gedankenwelt fast jeden Abend!
Ich hatte wirklich große Angst.
Die absolute Gewissheit, dass „es“ irgendwann mal passieren müsse, war für mich besonders schlimm. Mir war klar, dass ich es niemals, niemals wollte – aber das zählte nicht – man wächst ja auch, ob man will oder nicht. Da gab es schlichtweg nichts zu wollen.
Außerdem hatte ich lange gedacht, Sex sei etwas, dass Erwachsenen vielleicht ein mal pro Jahr taten, jedoch hatten wir in der Schule erfahren, dass Sex etwas war, was zum Leben selbstverständlich dazugehörte. Es war nicht besonderes oder so, Erwachsene taten es also vielleicht so ein mal pro Monat. Ich war darüber sehr erschrocken.
Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, das mit mir etwas nicht stimmte. Vor Essen hatte ich doch auch keine Angst, oder davor erwachsen zu werden zum Beispiel. Sex war doch etwas, das als genauso natürlich und selbstverständlich galt, wie essen oder trinken oder was auch immer? Ich hatte doch gelernt, dass es keine Gründe gebe keinen Sex zu haben, wenn beide sich mögen. Wieso dann diese Panik?
Da ich wusste, dass nur dumme Menschen Sex als etwas unnatürliches betrachteten und da ich keine anderen Gründe für meine Angst ausmachen konnte, versuchte ich irgendwann nicht weiter darüber nachzudenken – es gab einfach keinen Grund.
Noch nie hatte ich von einem Mädchen, oder einer Frau gehört, die jemals solche Ängste gehabt haben könnte – es ging immer nur darum, wie man am besten Verhütet, wie man sich „das erste Mal“ vorstellt, wo man „es“ haben könnte!
Warum hatte ich diese diffuse Angst, vor etwas, dass so absolut natürlich war?

Den zweiten Sexualkunde Unterricht hatten wir dann in der siebten Klasse. Man wollte natürlich wieder vor den Lehrern nicht als unreif dastehen und wurde deshalb auf keinen Fall rot, oder gab sich so, als wenn einem etwas unangenehm oder sogar peinlich wäre. Das war ein wirkliches Tabu.
Woher dieses innere Unbehagen kam, gegen das ich nun so tapfer ankämpfte, wusste ich nicht. Scham konnte es ja nicht sein, es gab sie sozusagen gar nicht...
Ich weiß auch noch, dass es Eltern gab, die einen getrennten Sexualkunde Unterricht vorschlugen. Man war froh, wenn es nicht die eignen Eltern waren, denn man war sogleich im Verdacht, eine vielleicht „dumme“ Familie zu sein, die mit einem selbstverständlichen, natürlichen Thema verkrampft umging und somit dem eigenen Kind nur Schaden könne. Schließlich könnte das eigene Kind, ja nie mit Problemen zu seinen Eltern kommen, wenn diese verklemmt und intolerant waren. Kinder solcher Eltern könnten nie ein ungezwungenes Verhältnis zu ihrer eigenen Sexualität entwickeln.
Überhaupt, seit der siebten Klasse quoll unsere Schule nur so über vor Sexualität. Auf der Klassenreise schmiss uns eine Lehrerin mal aus dem Zimmer der Jungs, in dem wir, wie sonst auch in den Schulpausen, bei unseren Schulkameraden saßen und quatschen. Die Begründung: „Ihr wisst ja nicht, was ihr Jungs in diesem Alter antut, wenn ihr bei ihnen auf dem Schoß sitzt!“ Aha.
Als wir eines Abends durch die Zimmer gingen um Gute Nacht zu sagen, wurden wir von unsrer Lehrerin (die uns übrigens auch in Biologie unterrichtete...) erneut aus dem Zimmer gezerrt – wieder der selbe Grund. Ich weiß bis heute nicht, was sie sich dabei gedacht hat, jedenfalls galten meine Freundinnen und ich als irgendwie – keine Ahnung was!
Man trug zu dieser Zeit ( so um 1990) Levis Jeans, die unbedingt Löcher haben mussten. Meine erste Levis bekam auch gleich eins verpasst: am Knie und hinten am Oberschenkel. Alle liefen so rum und wir mochten diesen Look. Madonna trug solche Hosen, Janet Jackson – ach wirklich alle!
Als wir einmal die Treppe zum Klassenraum hochgingen zischte die Lehrerin, dass wir noch eines Tages auf dem „Baby-Strich“ enden würden. Ich war fassungslos, wie man so etwas respektloses sagen konnte. Ich hatte mir bei dieser Klamotte nichts weiter gedacht, als dass sie mir gefiel. Ich war so stolz auf meine erste Levis gewesen.
Außerdem ging es in der Liebe schließlich nicht ums Äußere, sondern darum, dass man sich vom Charakter her mag. Man wusste doch heutzutage, dass Frauen eben keine Sexobjekte sind, und wir gingen selbstverständlich davon aus, dass die Männer/Jungs das genau so sehen. Ich konnte nicht verstehen, dass ausgerechnet diese Lehrerin, die uns in Sexualkunde so selbstverständlich unterrichtete das anscheinend noch nicht begriffen hatte!
Wir hatten doch gelernt, dass ein nacktes Bein oder ein sichtbarer Oberschenkel auch nichts anderes waren als eine „nackte“ Hand! Das hatten wir nun wirklich lange genug erklärt bekommen.
Ebenfalls hatte man erkannt, dass Frauen Männer auch sexy finden können. Es war ein Jahrhunderte altes Missverständnis, dass Frauen Männer angeblich nicht sexy fanden, oder finden durften. Und da wir ja „gleich“ waren, dachte ich nicht, dass ich anders aussehe, als Jungs in einer zerrissenen Jeans – schließlich hatte das auf mich – rein körperlich – überhaupt keine Auswirkungen. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie einen Mann gesehen und wollte mit ihm aus irgendwelchen Gründen Sex haben. Dass das umgekehrt vielleicht anders sein könnte wäre mir nie, aber auch wirklich rein gar niemals in den Sinn gekommen.
Außerdem wussten wir auch, dass das Äußere für überhaupt nichts im Leben auch nur die geringste Rolle spielte, denn Liebe oder Respekt zwischen Menschen hatte schließlich nichts mit Kleidung, dem Äußeren oder gar mit dem Geschlecht zu tun! Wir waren aufgeklärt und wussten, dass es in Wahrheit auch gar keine Heterosexualität gab. Jeder, der sich verliebte, verliebte sich in erster Linie in den „Menschen“. Das Geschlecht stand an zweiter Stelle und entschied jedenfalls nicht darüber, in welchen Menschen man sich verliebte. Zwar gab es Homosexualität, also Menschen die sich tatsächlich immer nur in Menschen eines Geschlechts (also desselben) verliebten, woran das nun genau lag wusste man aber noch nicht. Es gab bis dahin keinen Forscher, der das herausgefunden hatte. (So die Informationen) – doch eine sogenannte „Zwangshomosexualität“ wurde in solchen Fällen vermutet. Nun, auf uns Heteros traf das nicht zu. Wir jedenfalls verliebten uns in Menschen. Jede andere Vorstellung entsprang aus finsteren, vergangenen Zeiten und wurde als „Zwangsheterosexualität“ bezeichnet. Heute wusste man es besser.
Ich war zwar noch nie in ein Mädchen verliebt gewesen, aber ich wusste, dass dies ein reiner Zufall war, der weiter keine Rolle spielte. Schließlich gab es keine Rollen. Es gab Freiheiten und denen durfte man sich auf keinen Fall verschließen.
So stellt z.B. Alice Schwarzer in „Der große Unterschied“ klar:
- alle Menschen sind von Natur aus bisexuell, genauer: multisexuell, und die vorherrschende Heterosexualität ist das Resultat einer kulturellen „Zwangsheterosexualität“;
Des Weiteren zitiert Schwarzer den Hamburger Sexualtherapeuten Gunther Schmidt: „Einem hoch entwickelten Lebewesen wie dem Menschen entspricht es eigentlich gar nicht, seine Partnerwahl nach dem Geschlecht zu richten. Es ist doch nur logisch, wenn dabei mehr und mehr Kriterien eine Rolle spielen, die uns viel Angemessener sind: die Ausstrahlung, die Interessen und Charakterzüge (...) – und zwar ganz unabhängig vom Geschlecht.“

Wem das jetzt ein wenig wirr erscheint, dem kann ich nur sagen, dass es das war, was wir lernten und was uns vermittelt wurde. Ich hatte diese Ansichten übernommen. Es war mir so erklärt worden – von denselben Menschen die uns erklärten, woran man Ideologien erkennt oder wie man binomische Formeln anwendet. Ich hatte es als plausibel empfunden. Die Weichen dafür, waren bereits seit Kindertagen gestellt!

Viele Jahre später, berichtete meine beste Freundin an einem unserer Mädelsabende bei einem Glas Rotwein von ihrem ersten "One Night Stand". Sie hatte einen „süßen Typen“ in einer Bar kennen gelernt und sich sogleich in ihn „verguckt“. Sie flirteten und „landeten im Bett“. Er war charmant und ein wirklich angenehmer Liebhaber gewesen.
Sie fuhr am nächsten Morgen nach Hause ohne Abschiedsschmerz – schließlich ging es hier nicht um Hoffnungen auf irgendwas – das glaubte ich ihr sogar. Man weiß zwar nie was doch noch draus werden könnte, so unsere Überzeugung, aber ich glaubte ihr.
Doch dann erzählte sie, dass sie sich, zu Hause angekommen, so leer gefühlt habe. So als ob ihre Gefühle allesamt abgestellt sein. Sie könne es uns schlecht beschreiben, also sollten wir uns die Schule vorstellen, so wie sie früher an Nachmittagen war. Es war dasselbe Haus und doch nicht, eben leer und – ohne Leben. Später, sagte sie, sei eine Kälte dazugekommen und Bedrückung. Sie sei froh gewesen, als „der Tag danach“ vorbei gewesen war und die normale Woche wieder anfing.
Meine andere gute Freundin berichtete sogleich, dass das normal sei und sie sich „danach“ auch immer so fühle. Einmal hatte sich das sogar in richtige Übelkeit mit allen körperlichen Konsequenzen verwandelt. Sie lachte während sie erzählte. Ich will hier nicht das Unschuldslamm spielen, aber mitreden konnte ich nicht, also hörte ich gespannt zu und war wirklich erstaunt. Zwar hatte ich mir zu diesem Thema noch keine Gedanken gemacht – ich dachte ich wüsste alles – aber mit solchen Schilderungen hatte ich dann doch nicht gerechnet. Übelkeit und Leere? Was hatte denn das nun wieder zu bedeuten. Und wenn das stimmt, warum macht man es dann wieder? In Zeitschriften, las sich das, als gehöre es zu einem normalen Leben einfach dazu. Ich ging davon aus, dieses ganz selbstverständlich auch irgendwann zu erleben. Zwar solle es auch Frauen geben, für die ein "One Night Stand" nicht in Frage käme und das müsse man auch ganz selbstverständlich tolerieren. Aber solche Frauen hatte ich bisher noch nie kennen gelernt. (Außer vielleicht Britney Spears übers Fernsehen, die sagte solche Sachen wie, dass sie erst Sex haben wollte, wenn sie verheiratet sei. Und an ihrer ganzen Person oder ihrem Auftreten, galt diese Äußerung als das Albernste. Kein Wunder, Amerikaner gelten ja gemeinhin als verklemmt oder „Doppelmoralisch“). So war unsere Gesellschaft schließlich längst nicht mehr! Wir waren aufgeklärt und selbstbestimmt.
Was also war mit meinen Freundinnen los?

Nach all dem was wir wussten, gab es keine Erklärungen für diese traurigen Reaktionen. Einzig etwas verrückt war, dass es sie gab. Uns erschienen diese Gefühle nicht als „normal“ oder angemessen.
Wir beschlossen, dass man da irgendwie an sich arbeiten müsse. Es ging schließlich um eine freie Sexualität und um einen selbstverständlichen Umgang mit der eigenen Körperlichkeit – und solche Reaktionen passten da einfach nicht hinein!
Die Frage - wie denn etwas so natürliches und selbstverständliches wie Sex, zu Übelkeit und seelischer Leere führen konnte - stellte ich mir zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr...

Freitag, 24. Oktober 2008

Ausbildung

Meine erste Ausbildung absolvierte ich Mitte der 90er auf einer Berufsfachschule für Kinderpflege in Hamburg. Bei diesem Beruf geht es um die Betreuung so genannter „Elementarkinder“ im Alter von drei bis sechs Jahren. Die Ausbildung beinhaltet zudem den Spezialbereich „Kinderkrippe“ für die Kinder von null bis drei Jahren.
Unterrichtet wurden wir in Pädagogik, Psychologie, Kinderliteratur und Fachbezogenen Naturwissenschaften sowie allgemein bildenden Fächern wie Deutsch, Mathematik oder Politik.
Ich bin also gelernte Fachkraft, wenn es um die Betreuung von null bis sechs jährigen Kindern geht.
Natürlich behandelten wir auch das Thema „Bindung zwischen Mutter und Kind“ und erfuhren dass diese bereits im Mutterleib beginnt. Gleich zu Beginn der Ausbildung lernten wir also, dass es in diesem Beruf nicht darum geht, diese Bindungsperson zu ersetzen, sondern eine betreuende und pflegende Funktion auszuüben. Die eigentliche Bindungsperson sollte schließlich täglich mindestens vier Stunden Kontakt zum Kind haben: über Blick -, Körper – sowie Sprechkontakt. Diese Anforderungen zu erfüllen wäre bei zwei Betreuerinnen und zwölf Krippenkindern rein rechnerisch schon gar nicht möglich.
Hinzu kommt, dass die Kinder in den ersten drei Lebensjahren unterschiedliche Phasen durchlaufen die mit unterschiedlichen Bedürfnissen einhergehen. Zur optimalen Entwicklung war der innige Kontakt zwischen Mutter und Kind während dieser Phasen also unabdingbar.
Als nun mein Krippenpraktikum im Rahmen der Ausbildung begann war ich dennoch frohen Mutes, denn die meisten Kinder verbrachten nur die Vormittage bei uns – es blieb also genug Zeit für die Mütter ihrer Aufgabe als Bindungsperson nachzukommen.
Ich kann mich noch sehr gut an meine ersten Stunden in der Krippe erinnern. Ich betrat den hellen, freundlichen Raum und hörte als erstes: Nichts!
Es war überwältigend still, trotz der zwölf kleinen Kinder die sich in der Gruppe aufhielten. Kein Lachen, kein Schreien, kein Glucksen, kein Brabbeln. Angesichts der Lautstärke im Bereich der drei bis sechs Jährigen eine unglaubliche Erfahrung.
Ich setzte mich dazu und beobachtete erstmal. Die meisten Kinder interessierten sich eigentlich kaum für mich, ein kurzer Blick, das wars. Bis auf ein Mädchen (ca. 2 Jahre), das auf mich zu getapst kam, mich sogleich umarmte und kaum noch losließ.
Über die Wochen viel mir auf, dass sie das bei jedem Menschen tat, der die Gruppe betrat. Eltern, Kollegen, Fremde.
Wir hatten einen einfachen Tagesablauf. Für die „älteren“ gab es Frühstück, Mittag und Abendbrot und die ganz Kleinen (insgesamt vier Babys kaum zwei Monate alt) bekamen ihr Fläschchen. Das wurde nun zu meiner festen Aufgabe, da die beiden Betreuerinnen diese Zeit dann anders nutzen konnten und ich mich den Babys umso intensiver zuwenden konnte.
Wir betrachteten mit den Kleinen Bilderbücher, sangen mit ihnen, gingen auf den Spielplatz, wechselten Windeln. Eigentlich klappte alles ganz gut und wenn man alle Kinder zusammentrommelte konnte man sich ihnen auch intensiv zuwenden.
Eigentlich machte es Freude, mit diesen niedlichen Wesen zu arbeiten – nur diese merkwürdige Stille und Teilnahmslosigkeit warf Fragen auf. Bald sprach ich eine der Betreuerinnen darauf an und sie erklärte mir, dass das daran läge, dass so kleine Kinder noch nicht in der Lage sind miteinander zu spielen. Sie sind damit beschäftigt einen Ball zu werfen und erfahren erst einmal wie sich ein Ball anfühlt, wie man ihn schubsen oder das man ihn überhaupt bewegen kann. Erst wenn diese Erfahrungen gemacht sind beginnt ab ca. drei Jahren das gemeinsame, interaktive Spiel. Daher die absolute Ruhe.
Nun, damals reichte mir das als Antwort. Klingt ja auch erstmal logisch.

Im weiterführenden Unterricht ging es natürlich auch um das Thema Stillen. Schließlich war das in der Krippe nicht möglich. Wir erfuhren, dass es nichts, aber auch wirklich nichts gibt, was das Stillen und die damit verbundenen Abläufe im Körper und Geist des Babys ersetzen kann. Das erstaunte uns. Wir dachten eher "Milch ist Milch" und wurden schnell eines Besseren belehrt. Ich will jetzt nicht so wahnsinnig viel darüber erklären, aber am Ende der Stunde waren wir uns darüber einig, das es keine Alternative gibt.
Auch ein Moment, an den ich mich noch genau erinnern kann. Vor allem an die Lehrerin, die uns unterrichtete. Sie bedauerte es sehr, uns leider nichts anderes sagen zu können und in jedem ihrer Sätze tauchte dieses „leider“ auf. Es bereitete ihr sichtliches Unbehagen, dass Muttermilch der eigenen Mutter so unverzichtbar für ein Neugeborenes ist.
Dieses Unbehagen schwappte auf uns über: Offenbar war dies eine schlechte Nachricht.
Nun, eigentlich war ich zunächst begeistert gewesen über dieses Naturphänomen. Ist doch der Wahnsinn. Heißt also doch nicht umsonst „Mutter Erde“. Erst macht man Leben und dann hat man auch noch dass beste Mittel um es gedeihen zu lassen. Eigentlich könnte einen dass doch mit Stolz oder Zufriedenheit erfüllen.
Aber scheinbar war dies eine schlechte Nachricht.

Dieselbe Lehrerin berichtete uns auch von der bahnbrechenden Erkenntnis, dass Jungen und Mädchen von Geburt an gleich waren. Alle Unterschiede seien rein körperlicher Natur (biologisches Geschlecht, engl. „sex“). Man solle sich beide Gehirne vorstellen, wie ein weißes Blatt Papier, dass bei der Geburt noch völlig unbeschrieben ist.
Alles was danach kommt an Erfahrungen, an Gedanken und Wahrnehmungen sei nun von der Gesellschaft, den Eltern und deren Erwartungen dort aufgeschrieben worden. (vom biologischen abgelöstes, also sozial und kulturell empfundenes Geschlecht, engl. „gender“) So z.B. auch die Einteilung in Mädchen und Jungs über das Biologische hinaus. Die Tatsache, das Mädchen und Jungs sich unterschiedlich verhielten und unterschiedliche Vorlieben haben, sei also gar nicht vorhanden – sondern die Folge der Gesellschaft, die Jungs und Mädchen feste Rollen „zuschrieb“. Jede Art dieser „Zuschreibung“ bedeute Zwang und Amputation und mache unglücklich. So litten Männer z.B. ein Leben lang darunter „nicht weinen zu dürfen.“ – was sogar zu seelischen Krankheiten führen konnte. Als angehende Kinderpflegerinnen sei es nun unsere absolute Pflicht, auf Zuschreibungen jeglicher Art zu verzichten. Keine Klischees, keine Rollen.
Individuen – darum ging es. Den Menschen als solchen wahrnehmen.
Das klang für mich absolut überzeugend! Und mir taten die Männer leid, die es noch nicht geschafft hatten, sich von diesen Zwängen zu befreien. Wir Frauen hatten diese schließlich längst abgelegt. Für uns hatte niemand irgendeine Rolle vorgesehen.
Wir durften jeden Beruf ergreifen, der uns gefiel, wir durften Karriere machen. Wir durften unsere Lebenspartner frei wählen und unsere Sexualität ohne moralische Zwänge frei leben. Wir hatten alle Rechte, alle Chancen. Wir durften sogar in den Krieg ziehen, professionellen Fußball spielen. Wir durften keine Kinder haben wollen, wir durften Kinder haben und gleichzeitig Karriere machen. Wir durften frech sein, laut – einfach alles! Das wollten wir auch. Und was wir außerdem wollten war der Gesellschaft bereits bekannt und sie berücksichtigte es. Wir wollten Partner, die sich den Haushalt mit uns teilten uns nicht für unsere Schönheit liebten sondern für unsere Persönlichkeit. Wir wollten vollwertige, anerkannte Mitglieder der Gesellschaft sein, finanziell unabhängig vom jeweiligen Partner. Wir wollten flexibel sein in allen Lebenslagen. Und auf alle Bedürfnisse wurde vollkommene Rücksicht genommen. Niemand versuchte uns unsere Freiheit zu nehmen! Im Gegenteil!
In dieser Zeit hörte ich auch erstmals das Wort „Lebensabschnittspartner“ (unser Deutschlehrer stellte uns mit dieser Bezeichnung seine Freundin vor) – es machte gleich klar, das es sich nur um eine zeitlich begrenzte Beziehung halten konnte, die sich mit ändernden Umständen auch ganz schnell wieder auflösen konnte.
Zwar missfiel mir dieses Wort irgendwie (vor allem die Vorstellung, dass man mich eines Tages so Bezeichnen könnte), aber so waren nun mal unsere Zeiten. Absolute Freiheit für jeden. Klang richtig und gut. Keine Unterdrückung für niemanden mehr! Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit durften sich jeder frei entfalten!
Und die Männer? Worunter hatten sie seit Jahhunderten gelitten? Ihre Gehirne waren doch ebenso, wie vor kurzer zeit noch die unseren, durch Zwänge gestutzt worden. Wurde ihnen eingeimpft, dass es "unmännlich" sei zu Bügeln, sein Zimmer rosa zu streichen oder sich zu wünschen, dass die Dame sie mit Blumen zum Date abholt?
Wollten sie sich, genau so fühlen wie wir: waren - wir - gleich?
Es würde interessant sein dies zu erfahren und für mich war dies der nächste logische Schritt, den unsere Gesellschaft gehen würde. Gespannt wartete ich nun auf die Forderungen der Männer!

Worum es beim Frau sein ging, hatte ich ja spätestens seit dieser Ausbildung schwarz auf weiß. Es ging darum auf keinen Fall irgendeine Rolle zu kreieren. Es ging darum nichts „typisch Weibliches“ starr zu fordern. Die menschliche Persönlichkeit nicht zu stutzen.

Was etwas „typisch Weibliches“ war, dass wussten wir bereits genau. Seit den eigenen Kindertagen war uns ja vermittelt worden, dass alles „typisch Weibliche“ automatisch Sklaventum bedeutete. Wahrscheinlich fühlte meine Lehrerin sich deshalb so unwohl: Stillen und Mutterschaft stehen selbstverständlich in der ersten Reihe der gefährlichen Rolle der Weiblichkeit.

Donnerstag, 23. Oktober 2008

Mode & Kosmetik

Ich liebe schöne Kleidung. Es macht mir Freude, meine weibliche Figur mit entsprechender Mode zu schmücken und
stundenlang kann ich in Magazinen blättern und den Anblick der glamourösen Damen genießen, die dort auf roten Teppichen in Roben flanieren. Einfach ein Vergnügen.
Genauso wie es am Samstagabend oder vor einem Date das schönste am ganzen Abend ist, sich herzurichten. Wie sehr freue ich mich über Einladungen zu Hochzeiten, weil sie mir endlich wieder eine Gelegenheit bieten, mich herauszuputzen.
Mit dieser Vorliebe stehe ich nun wahrlich nicht allein da.
Zu meiner Teenie-Zeit in den 90ern trafen wir Mädchen uns schon Stunden bevor wir in die Clubs fuhren um uns zu stylen. Der Trend des Jahrzehnts: Bauchfrei.
Hätte es uns nicht gefallen, hätten wir es nicht getragen!

Und obwohl die Betonung unserer Schönheit für uns Mädchen so eine wichtige Rolle spielte und wir dieser Leidenschaft ausgiebig nachgingen: Laut sagen durften wir das nicht!
Wieder eines der ungeschriebenen Gesetze unserer Gesellschaft.
Wer seine Schönheit gern unterstreicht gilt schnell als oberflächlich, lässt sich in eine vorgeschriebene Rolle zwingen, macht sich zu dem Objekt, das die Männer haben wollen. Diese Kenntnisse gehören zum Allgemeinwissen unserer Zeit.
„Schönheit ist (...) eine Waffe gegen Emanzipation“, schreibt z.B. Alice Schwarzer in ‚Der große Unterschied’. „Das fatalste (...) am Schönheitsdiktat ist, dass Frauen die Regeln nicht selbst bestimmen (...). Sie können sich ihnen nur beugen. (...)
Gebot Nr. 1: Du musst begehrenswert sein, also schön. Ob du schön bist oder nicht (...) das bestimmen Männer. Die Jagd (nach Schönheit) hält die Frauen (...) von Sinnvollerem ab. (...) Zum Beispiel vom Erobern der Welt.“
Da war es wieder: Wir versklavten uns!
Wir taten etwas Falsches, etwas Schlimmes, etwas das man uns aufzwang und das uns nur schaden konnte.

Doch warum bedeutete es so ein Unbehagen und so eine Anstrengung für uns, es nicht zu tun?
Ich weiß noch, dass meine beste Freundin und ich einmal beschlossen ungestylt auf eine Party zu gehen. Im Pulli, ungeschminkt und mit lockerem Haar verbrachten wir diesen Abend auf einer Geburtstagsparty – blöde Kommentare gab es nicht und doch fühlten wir uns den ganzen Abend mieß. Gute Laune kam nicht so recht auf, zum flirten hatten wir auch keine Lust und wir gingen ziemlich früh nach Hause, weil wir uns einfach nicht wohl fühlten. Ein Teenie-Experiment.
Nach all dem Geschwafel um uns herum hatten wir eigentlich erwartet irgendetwas Gutes zu fühlen, vielleicht etwas Befreiendes, so wie es uns permanent suggeriert wurde. Funktionierte nicht.

Also gut, so ging es leider nicht. Wir machten weiter mit dem verpönten „Aufstylen“ und hatten weiter ein schlechtes Gewissen.
Warum taten wir das? War es so, wie es immer hieß: man wurde zu etwas gemacht was man nicht ist. Waren wir in etwas gezwungen worden, als das wir nicht auf die Welt gekommen waren? Ging es darum Männern zu gefallen?
Ich muss hier mal klarstellen, dass ich noch nie, nicht eine Sekunde, wenn ich ein rosafarbenes, mit Glitzersteinchen verziertes Kleidungsstück sah, daran dachte dass ich darin auf Männer „begehrenswert“ wirken könnte!
Als Kind, schon gar nicht!
Das konnte es nicht sein...
Irgendwann brachte dann der Zeitgeist eine passende Antwort und einen Ausweg aus der Situation sich rechtfertigen zu müssen oder ein schlechtes Gewissen zu haben: „Ich tue das für mich!“, war die einhellige Antwort auf unangenehme Fragen und die einzige Antwort, auf so ziemlich alles was man gern tat und andere einem mieß machen wollten.

Wie nebenbei lernten wir so übrigens, dass in unserer Gesellschaft Dinge immer erst erlaubt waren, wenn man eindeutig beweisen konnte dass man sie „nur für sich“ tat.

Ich tue das also für mich! Und es stimmte einfach!
Ich fühlte mich schließlich unwohl, wenn ich nicht zurechtgemacht war.
Ich hatte dann permanent im Hinterkopf, dass meine Haare nicht sitzen, meine Augenringe einfach zu dunkel sind und meine Haut ohne Rouge fahl aussieht!
Es war wie mit der Hausarbeit: Stumm forderte mich jedes unstimmige Detail dazu auf beseitigt zu werden. Und richtig konzentrieren konnte ich mich auch erst, wenn meine inneren Schalter auf „schön“ standen. Der Maßstab dafür, den bestimmte ich! Entweder gefielen mir meine Haare oder eben nicht, und anstrengend war für mich nur, diesem Impuls nicht nach zu geben! Ein inneres permanentes Gegenandenken und doch nicht damit durchkommen.
Zur Schule war ich nicht erst bereit, wenn meine Hausaufgaben gut gemacht waren – nein – wirklich bereit war ich, wenn ich zudem fertig zurechtgemacht war. Egal in welcher Lebenssituation!
Das war einfach so.

Seit dem Erfolg der TV-Serie „Sex and the City“ scheint dies auch erlaubt zu sein. Meiner Meinung nach einer der Gründe, weshalb diese Serie so überaus erfolgreich wurde. War uns Frauen doch von Klein auf an vermittelt worden, dass wir etwas Schlechtes taten – so genossen die vier Protagonistinnen es doch offen und froh, sich zurecht zu machen.

Jedoch hat sich nicht wirklich viel verändert – man darf es, aber es darf einem nicht wichtig sein. Man darf es, wenn man als Frau erfolgreich im Berufsleben steht, quasi ein Statussymbol: Ich habe es so weit gebracht, dass ich mich stylen kann ohne als „blödes Weibchen“ da zu stehen, schließlich stehe ich in der Berufswelt meinen Mann!
Man darf es also nur dann, wenn der ultimative Beweis dafür erbracht ist, dass man sich emanzipiert hat – also den Ansprüchen der Gesellschaft an uns Frauen genügt!
Für alle anderen bleibt es ein Vergehen.

Somit bleibt die Liebe der Frauen zur eigenen Schönheit dass, was sie in dieser Gesellschaft auch sein soll: etwas verpöntes über das man als Frau nicht zu viel sprechen sollte und ein Luxus, den man sich vielleicht gönnt, wenn man niemandem mehr etwas beweisen braucht...

...wie kann denn etwas, das also als unwichtig erkannt wurde, mit ausschlaggebend sein für die tägliche Grundstimmung, für so viel Vergnügen und Freude, für so viel Genuss – dass es sogar zum ultimativen Sahnehäubchen mutiert und den Umstand krönt, sich alles andere bereits verdient zu haben?

Dienstag, 21. Oktober 2008

Hausarbeit

So – Hausarbeit!!!

Wenn ich abwasche oder staubwische, so ist dies wahrlich eine einfache Arbeit. Ich muss nicht nachdenken, nicht überlegen sondern ich tue es einfach. Somit macht es sich wirklich „wie von selbst.“
Mein Kopf ist während dessen frei. Ich denke nach über dieses und jenes oder höre Musik. Manchmal geht es so über mehrere Stunden und wenn ich dann auf die Uhr sehe, stelle ich erstaunt fest wie schnell die Zeit verflogen ist.
Dann blicke auf die saubere Wohnung, den gepflegten Balkon und die duftende Wäsche, und was soll ich sagen: ein Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit macht sich breit. Jetzt, da alles erledigt ist, habe ich die Zeit mich anderen Dingen zu widmen, anderes zu erledigen, oder mich einfach auszuruhen.
Nichts liegt mehr herum und fordert mich stumm auf, es zu beseitigen.

"In der Psychologie bezeichnet man solche Erlebnisse als Flow Erlebnisse Mit Flow (engl. fließen, rinnen, strömen) wird das lustbetonte Gefühl des völligen Aufgehens in einer Tätigkeit bezeichnet, auf Deutsch in etwa Schaffensrausch oder Tätigkeitsrausch, Funktionslust.
Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi definiert den Flow wie folgt:
- Wir sind der Aktivität gewachsen.
- Wir sind fähig, uns auf unser Tun zu konzentrieren.
- Die Aktivität hat deutliche Ziele.
- Die Aktivität hat unmittelbare Rückmeldung.
- Wir haben das Gefühl von Kontrolle über unsere Aktivität.
- Unsere Sorgen um uns selbst verschwinden.
- Unser Gefühl für Zeitabläufe ist verändert.
- Die Tätigkeit hat ihre Zielsetzung bei sich selbst
Nicht alle Bestandteile müssen gemeinsam vorhanden sein.
Und grundsätzlich wird verstanden: Flow ist anders als "fun" und "kick", es scheint mehr zu sein, vielleicht in diesem Sinne auch "wertvoller".
Flow kann als Zustand beschrieben werden, in dem Aufmerksamkeit , Motivation und die Umgebung in einer Art produktiven Harmonie zusammentreffen." (Quelle: wikipedia)

Übrigens ein wichtiger in Bestandteil des Lebens, der glücklich macht.
Auch bei Klassenarbeiten hatte ich solche Gefühle manchmal und auch in meinem Beruf. Alles fügt sich zusammen, die Fähigkeiten, die man besitzt beginnen zu fliegen und man schafft Dinge ohne Anstrengung! Einfach ein Vergnügen!
So auch beim Kochen, beim Tanzen und gelegentlich beim Stöbern in Geschäften.
Und eben bei der Hausarbeit!
Das einzugestehen ist mir erst seit kurzer Zeit möglich und seit ebenso kurzer Zeit kann ich das endlich genießen ohne zu glauben, dass mit mir etwas nicht stimmen könnte.
Seit meiner frühesten Kindheit war es doch ein ungeschriebenes Gesetz, dass die Gesellschaft uns Frauen zur Hausarbeit zu zwingen versucht – jedenfalls hatten mir das sämtliche Lehrer, Erzieher, Zeitungen, Eltern, Menschen aller Art so berichtet. Man wusste doch erst seit Kurzem, dass Frauen seit Jahrhunderten darunter litten, solche Arbeiten verrichten zu müssen. Man war an den wirklichen Fähigkeiten der Frauen nicht interessiert, sie durften sie nicht ausleben.
Die Männer zwangen die Frauen in die soziale Abhängigkeit, machten sie zu Knechten im Interesse des Machtanspruches - so wie man es eben mit Sklaven gemacht hatte. Sie beuteten uns aus. Und bei den meisten Frauen in anderen Ländern war das bis heute so.
Dies wusste ich. Aus der Schule von den Lehrern, aus dem Unterricht, aus den Medien, aus Berichten und Reportagen, aus Büchern und sogar aus der allg. Unterhaltung (Serien, Filme, Hörspiele).
So schreibt z.B. Alice Schwarzer in „Der große Unterschied“: „Bei der Hausarbeit geht es nämlich nicht nur darum, dass der eine arbeitet und der andere nicht. Es geht auch darum, wer dadurch welchen Status hat: Wer ist der Sklave und wird er Herr? Die moderne Kleinfamilie (...) hat jedem einzelnen Mann beschert, was früher nur den Priviligierten zustand – einen persönlichen Sklaven, genauer: eine Sklavin."

Nun, ICH durfte (sollte sogar) meine wahren Fähigkeiten frei entfalten. Ich habe Schauspielunterricht in der Schule genommen, ich habe Klavier gespielt, ich habe an Lesewettbewerben teilgenommen und immer gewonnen – worauf hin Theater auf mich aufmerksam wurden und mein Talent fördern wollten. So spielte ich während der Weihnachtszeit in Hamburg über Jahre in Theatern.
Das machte mir Spaß und ich erntete viel Anerkennung für meine Fähigkeiten.

Hausarbeit dagegen, das interessierte natürlich niemanden. Und mir war es eher peinlich, dass ich als selbstbewusste junge Frau mit Erfolg ausgerechnet bei etwas niveaulosem wie Hausarbeit so gut war und auch noch Spaß daran hatte. Also klammert ich diese Tatsache aus dem Leben völlig aus und die Hausarbeit erhielt endgültig den Stellenwert, den sie in der modernen Gesellschaft auch haben sollte: Sie wurde unwichtig und wertlos.
So konnte ich niemals feststellen, was für mich vielleicht eine (eine!) Berufung war...
So lebt man sein Leben und putzt an den Wochenenden (worauf man sich die Woche über schon freute, weil dann endlich Zeit war alles wieder fein herzurichten) und wundert sich insgeheim, warum man es immer wieder tut und warum es auch noch Spaß macht. Bis man irgendwann vergisst sich darüber zu wundern, da es keine Antwort zu geben scheint...

Irgendwann mit 27 Jahren las ich mal einen Artikel über das Thema und ein Satz den ich las erfüllte mich mit höchster Aufregung und ich kann mich noch genau an diesen Moment erinnern, dort stand: Hausarbeit ist für die Mehrheit der Frauen in Deutschland eine lustvolle, sinnliche Tätigkeit mit anschließendem Hochgefühl!

Bevor ich mich über „so viel Unsinn“ aufregen konnte fühlte ich das erste Mal so etwas wie Wahrheit bezüglich dieses Themas. Und ich merkte dass mir eine Schuld und Last genommen wurde und dass ich von nun an nicht mehr verdrängen musste, etwas vermeintlich Erniedrigendes so gern zu tun!
Ein befreiender Moment.

Ich hatte mich doch schon lange still gefragt: Wenn die Frauen es so sehr hassten, warum um alles in der Welt tun sie es und tun sie es und tun sie es dann?

Vor allem an meine Mutter musste ich denken. Meine Eltern arbeiteten beide bis um fünf Uhr nachmittags. Nach der Arbeit holte meine Mutter mich vom Kindergarten ab, ging mit mir einkaufen und am Abend zu Hause wurde gekocht, abgewaschen, Wäsche gewaschen und gebügelt. Mindesten einmal pro Woche gab es zwischen meinen Eltern Diskussionen deswegen. Mein Vater möge doch bitte helfen, schließlich arbeiteten ja beide gleich viel. Ein schlüssiges Argument – doch sobald mein Vater auch nur ansatzweise zu helfen versuchte wurde es noch schlimmer. Nichts machte er gut genug (das sah ich übrigens genau so ) und für alles brauchte er ewig lang. Meine Mutter empfand diesen Zustand als quälend. Und als sie einmal beruflich für eine Woche weg musste und ich mit meinem Vater den Haushalt alleine schmiss, konnte ich sie wirklich verstehen: Mein Vater stellte sich unheimlich blöd an – was war los mit ihm?

Wieder ein Baustein der Unterdrückungsmaschine?
In dem Buch „Der große Unterschied“ schien sich erneut eine Antwort abzuzeichnen: „Da sind zwei, von denen sich einer vom anderen bedienen lässt, zuschaut, wie der andere sich aufreibt, und auf dessen Rücken die Füße hochlegt. Und das ganze nennt sich dann Liebe. (...) Frauen sind es gewohnt, nicht um ihrer selbstwillen geliebt zu werden, sondern sich Liebe durch Dienstleistungen zu erkaufen. (...) Das ganze ist eine reine Machtfrage. (...) So schnell würden die Frauen gar nicht gucken können, wie die Männer sich ändern, wenn sie müssten.“

Soll man also einfach den Spieß umdrehen und alles liegen lassen, bis es ihm zu viel wurde?
Das hält man genau zwei Wochen durch und dann erträgt man die Unordnung nicht mehr!
Sind Männer wirklich so berechnend? Sie sagen doch immer sie würden den Haushalt gern mit uns teilen – warum tun sie es dann nicht? Um uns Frauen zu versklaven?
Ein wirklich unerträglicher Zustand: kann man mit jemandem der so abgebrüht und hinterlistig ist wirklich noch zusammenleben, ohne sich selbst zu verachten? Oder soll man weiter an die Vernunft glauben und für eine gerechte Aufteilung kämpfen, und wenn ja: wie lang?
Fast schien es so als sei man Opfer – Opfer eines gemeinen, hinterlisten, garstigen Wesens, das Verständnis heuchelt, lügt, betrügt und ausnutzt.

Als „tote Zeit“ bezeichnet man heute oftmals die Stunden, die man mit Hausarbeit verbringt. Warum also, ist diese „tote Zeit“ ein so wesentlicher Bestandteil im Leben unserer Mütter? Geht es ihnen darum sich die Liebe unserer Väter zu „erarbeiten“ – und wenn ja: Warum bereitet es mir so ein reines Vergnügen diese Tätigkeiten selbst zu verrichten? Ich lebte doch lang allein, und bis heute ereilt mich stets der Impuls etwas wegzuräumen, das unordentlich herumliegt - unabhängig davon wo oder bei wem ich mich befinde. Ich habe eher das Gefühl, dass es mehr Anstrengung bedeutet, diesem Impuls nicht nach zu geben.

Oder anders gefragt: Erarbeite ich mir Liebe von einem Mann, wenn ich bei meiner besten Freundin mal abwasche, weil mich die Unordnung stört? Bedeutet es Anerkennung von irgendeinem Mann, wenn ich mich auf den Samstag freue um in Ruhe meine Single-Wohnung sauber zu machen?

Montag, 20. Oktober 2008

Rätsel der Kindheit

Tja, wie fang ich denn nun am besten an? Mein Anliegen beinhaltet zu viele Vorgänge die so sehr in sich und miteinander verwoben sind, dass es keinen Anfang zu geben scheint. Ich stehe vor einer kleinen Herausforderung...

Ich beginne einfach mal irgendwie, es wird sich schon eine Richtung herauskristallisieren, der ich dann folgen kann.


Kindergarten!

Mit vier Jahren kam ich, auch auf eigenen Wunsch, in den Kindergarten.
Das war 1980! Das Bewusstsein der Menschen um mich herum war absolut GRÜN (ohne dies politisch zu meinen, ich war ja ein Kind). Es ging eigentlich 24 Stunden um nichts anderes als Umweltschutz und Umweltverschmutzung und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern – diese Themen beherrschten auch unseren Sandkasten. Somit erscheint mir die neuerlich wieder aufgewärmte Umweltdebatte als müßig. Ich wurde, seit mein Bewusstsein erwachte, damit voll gepumpt! Das nur nebenbei.
Interessanter für mein Anliegen ist das Thema Frauen und Männer, bzw. Mädchen und Jungs.
Im Kindergarten wurde die Gruppe mit den Jungs geteilt – was wirklich gut funktionierte, denn man kam sich eigentlich nie störend in die Quere. Mit den Puppen wollten die Jungs sowieso nicht spielen, wir auch nicht mit der Carrera-Bahn und in der Lego-Ecke war immer genug Platz für alle zusammen. Wir waren gut befreundet und eine wirklich eingeschworene Gemeinschaft. Wir fühlten uns als Gruppe.
Es gab ja auch viele Gemeinsamkeiten. Wir mochten alle dieselbe Musik (Nena und die "Neue Deutsche Welle"), am Samstag Abend sahen wir alle die selben Sendungen im Fernsehen, welche dann das Spiel der darauf folgenden Woche beherrschten.
Wir mochten dieselben Filme in den Kinos – eben die Kinderfilme – und wir lasen die selben Comics.
Wir (und nicht die Erwachsenen!) waren uns in allen Punkten einig: Es gibt Dinge, die „gehören“ den Mädchen, Dinge die „gehören“ den Jungs und es gibt Dinge, die sind quasi für alle da.

In der Schule nebenan, sah es allerdings ganz anders aus. Dieser Qualitätsunterschied des Zusammenlebens bereitete mir schon als Kind Kopfzerbrechen, denn anders als im Kindergarten waren die Jungs in der Schule für uns Mädchen kaum zu ertragen, obwohl sich die Schulklassen den Kindergartengruppen fast auf jedes Kind glichen!
Jungs mit denen ich im Kindergarten oder in Freizeit gerne spielte waren in der Schule kaum wieder zuerkennen und benahmen sich furchtbar anstrengend!
Mirko, Patrick, Timo und Jens, Jungen aus der Nachbarschaft und dem Kindergarten waren wirklich gute Spielkameraden. Wir fuhren zusammen Fahrrad, kletterten auf Bäume oder ärgerten die Nachbarn. Wir tauschten WWF-Pannini Bildchen und liehen uns TKKG-Kassetten. Wir waren ein gut funktionierendes Team und richtige Freunde.
Kaum eine freie Minute am Nachmittag, die wir Mädchen nicht zusammen mit ihnen verbrachten.

Als Klassenkameraden jedoch mussten wir uns ständig – und das wirklich täglich, in jeder Pause und über Jahre hinweg von Jungs ärgern lassen. Uns wurden die Brote geklaut, die Federtaschen versteckt, bescheuerte Namen gegeben.
Treten unterm Tisch während des Unterrichts war keine Seltenheit.
Kurz: Es ging darum uns Mädchen zu ärgern – ganz vorn mit dabei: Mirko, Patrick, Timo und Jens!
Wohlgemerkt, die selben Jungs mit der wir im Kindergarten und in der Freizeit so gut harmonierten.
In der Schule kamen sie mir fast wie Fremde vor.

Woran liegt das bloß? In meiner Kindheit fragte ich mich das immer und immer wieder! Ein absolutes Rätsel.

Und vor allem, wie sollten wir unseren Freunden begegnen, um uns verteidigen?
Die Lehrer waren uns keine Hilfe. Es hieß permanent wir sollen den Jungs bloß nicht zeigen, dass ihr Verhalten uns ärgert – denn dann hätten sie ja erreicht was sie wollen. Ein frustrierender Ratschlag, der manchmal dazu führte, dass wir Tritte so lang ignorierten, bis man blaue Flecken bekam.
Wir wollten uns nicht ärgern lassen und hofften auf den Ratschlag der Lehrer. Er bewirkte jedoch nur, dass man am Ende verletzt war, nichts gegessen hatte (das Pausenbrot war ja geklaut) und die Jungs uns auch noch auslachten, weil wir ihnen nichts entgegenzusetzen hatten als Tränen.
Das mag vielleicht nach harmlosem Kinderkram klingen, jedoch spreche ich hier von täglichen Auseinandersetzungen über mehr als vier Jahre. Und ich spreche vor allem von jeder Pause, auch den kleinen. Ich denke jedes Kind braucht diese Pausen um im Spiel oder einfach nur durchs Ausruhen Kraft zu tanken. Für uns Mädchen war daran jedoch nicht zu denken.
Vielleicht lag hier der Grundstein, der später zu der irrigen Annahme führte, dass alle Frauen „gut“ und Opfer der „bösen Männer“ sein sollten. In der Schule war es schließlich so. SIE ärgerten UNS. Und wir kamen nicht dagegen an...

...Jedoch konnte ich nie ganz vergessen, dass ihr Verhalten im Kindergarten und auf dem Spielplatz so absolut anders war!

Die Probleme des Miteinanders in der Schule beschränkten sich jedoch nicht ausschließlich auf die Pausen. Besonders hervorheben möchte ich noch den Sport – und Mathematikunterricht.
Es war grässlich. Ganz ehrlich: in Mathe konnte man als Mädchen machen was man wollte. Die Jungs waren immer schneller und besser. Die Lehrer hatten meist nicht Geduld auf uns Mädchen einzugehen und so gestaltete sich der Unterricht mit den Jungs wie von selbst. Bei mir führte dies irgendwann dazu, mich weder geistig noch irgendwie anders am Mathematik Unterricht zu beteiligen. Ich wusste nicht wozu? Man rechnete wie blöde und hatte am Ende des Unterrichts vielleicht gerade mal verstanden worum es überhaupt gehen sollte – aber die Jungs waren schon zwei Schritte weiter und der Lehrer genervt von den schlechteren Mädchen.

Da mag man sich fast wieder fühlen wie das Opfer eines selbstgerechten Geschlechts, nicht wahr?!

Aber gut, mit einer vier in Mathe kann man leben... Anders war es im Sportunterricht, in dem man wieder mit körperlichen Schmerzen rechnen musste – besonders bei Ballspielen. Die Jungs warfen so furchtbar hart, dass man als Mädchen wirklich nichts anderes tun konnte als sich zu ducken, anstatt einen Ball auch noch zu fangen – (das bedeutete von der Jungsseite wieder nerviges Gelächter) abgesehen davon ist Bälle fangen verdammt schwer. Ich hab es jedenfalls gehasst, weil es mir meist nicht gelingen wollte und ich am Ende mehr als einmal mit verstauchten Handgelenken dastand! Ich habe immer bewundert, wie man es schafft, die Hände so zu positionieren, dass man diese schnellen, harten Bälle auch noch fängt (ebenso über die Fähigkeit bestimme Ziele zu treffen).
Ich staunte, wieso die Jungs das so gut konnten. Zudem war für mich so gut wie jeder Ball hart und schnell und unfangbar!
Wir waren dem nicht gewachsen.
Dasselbe gilt für so gut wie jedes Sportgerät und jede Sportart! Und nicht das man nun annimmt, ich wäre einfach nur unsportlich. Ich wurde im zarten Alter von sechs Jahren an eine Schule für besonders sportbegabte Mädchen empfohlen! (Meine Mutter hatte dies abgelehnt, da es tägliches Nachmittägliches Training bedeutet hätte – sie wollte mir den Leistungsdruck nicht zumuten.)
Ich möchte mit der Schilderung des Sportunterrichts veranschaulichen, wie sich diese Unterrichtsstunden für uns Mädchen darstellten und welche Auswirkungen dies auf unsere Wahrnehmung von den Jungs hatte!

Um uns herum tobten Debatten zum Thema Emanzipation und Unterdrückung der Frauen und es fühlte sich irgendwie so an, als könnten wir Mädchen tatsächlich Opfer einer Unterdrückunsmaschinerie sein – denn warum sollten diese Jungs sonst ständig so gemeine, ungerechte und garstige Dinge mit uns anstellen?
Bei der lauten Diskussion (und JA, die bekommt man auch mit sechs – zehn Jahren sehr genau mit) vergas ich mit der Zeit fast eine meiner liebsten Fragen:

Warum waren die Jungs im Kindergarten und auf dem Spielplatz so anders: kameradschaftlich, freundlich, rücksichtsvoll und einfach nett?