Freitag, 14. August 2009

Kinderwunsch und Familie

Ich habe keinen Kinderwunsch.
Wenn ich gefragt werde ob ich Kinder möchte, so ist die einzige Antwort die ich geben kann: Ich möchte nicht keine Kinder haben! Und diese Antwort ist wahr. Ich möchte wirklich nicht keine Kinder haben. Genau das ist es, was ich fühle. Nun könnte man daraus eigentlich schließen: Sie will also Kinder. Aber diese Antwort wäre falsch.
Ausschließlich der Gedanke keine Kinder zu haben ist für mich ausgeschlossen. Vor allem, wenn ich mal alt bin. Ich habe keine Vorstellung, keine Bilder und keine Ideen von der Zeit dazwischen oder wann genau ich Kinder möchte (momentan ist die Antwort jedenfalls „später“) aber Fakt ist: Ich möchte nicht keine Kinder haben!

Die Mütter meiner Freundinnen und Bekannten waren alle Anfang 20 als ihre ersten Kinder zur Welt kamen. Die Frauen in meinem Freundeskreis und ich sind alle Anfang 30 und kinderlos. Es muss also in den 70ern aus irgendeinem Grund normal gewesen sein so wahnsinnig jung Kinder zu bekommen. Ich hatte in dem Alter gerade mal meine erste eigene Wohnung. Unsere Mütter lebten da schon mit ihren Ehemännern zusammen.
Von meinen Freundinnen ist auch keine einzige Verheiratet oder denkt auch nur daran.
Waren unsere Mütter so unvernünftig oder naiv, dass sie nach zwei Jahren Beziehung ihren Freund gleich heirateten und glaubten sie hätten die große Liebe gefunden? Zwang man sie vielleicht dazu, weil Frauen Mitte der 70er als Unanständig galten, wenn sie allein lebten? Hatten sie keine individuellen Träume oder Wünsche in Bezug auf ihre Zukunft? Hatten sie keine Talente oder Anlagen die sie erst Ausleben wollten, bevor man sie an Haus und Kinder „fesselte“? Wollten sie nicht erst ein eigenes Leben aufbauen, eine Persönlichkeit herausbilden, Erfahrungen sammeln, selbstständig werden und auf eigenen Füßen stehen. Hatten sie an das Leben denn gar keine Ansprüche?
Oder waren sie die Opfer eines männlichen Machtanspruches?
So jedenfalls hatte man es uns beigebracht. Das dümmste was man als Frau überhaupt machen konnte, war heiraten und Kinder bekommen. Und mit Anfang 20 war das auch so ziemlich das Letzte, was ich wollte!
Sobald man die Worte Heirat oder Kinder auch nur hörte baute sich eine riesige innere Sperre auf ohne sich zu fragen ob man das denn vielleicht mal möchte oder nicht. Allein sich diese Frage zu stellen, dazu waren wir nicht in der Lage.

Wie ist dieser Unterschied zwischen den Generationen zu erklären?

Alice Schwarzer vertritt dazu folgenden Standpunkt: "Es mangelt den jungen Frauen (heute) nicht mehr an (...) Vorbildern: von der Gerichtspräsidentin bis zur Nobelpreisträgerin, von der Kommissarin bis zur Rennfahrerin, von der Bankerin bis zur Künstlerin, Selbst in Hollywood agieren inzwischen Frauen, die schon lange nicht mehr nur ihr schönes Gesicht hinhalten, sondern ihre Filme auch selbst produzieren(...). Und auch davor, dass es trotz allen Fortschritts noch Probleme gibt bei der viel beschworenen „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, verschließen zunehmend weniger Frauen die Augen. Sie ziehen sogar Konsequenzen: Sie heiraten immer weniger und immer später. (...) Und sie bekommen immer weniger Kinder.
Niemand sagt es laut, aber: Wir befinden uns in Deutschland mitten in einem virulenten Geburtsstreik."

Vielleicht hat Alice diesmal sogar Recht – wenn auch anders als sie es meint, denn: So viele Vorbilder wir auch hatten, ein ganz bestimmtes hatten wir nicht: Das einer „Mutter“! Die Mutter im klassischen Sinn, war in unserem Leben einfach nicht vorhanden. Es gab sozusagen keine Mütter.
Ich war seit meinem vierten Lebensjahr, also seit dem Erwachen meines Bewusstseins, im Kindergarten. Die Mütter all meiner Freunde, und all der Kinder denen ich dort begegnete waren also berufstätig. Etwas anderes kannten wir nicht. (Lange Zeit verstand ich auch nicht wirklich, warum es ein „Problem“ geben soll in Bezug auf „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ – dieses Problem hatte ich niemals erlebt.)
In meiner Welt waren arbeitende Väter UND Mütter das normalste überhaupt.
Wie gesagt, es gab schlichtweg gar nichts anderes!
Was ich damals noch nicht wusste: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schien kein Problem zu sein, da das, was Menschen wohl unter Familie verstehen, so gut wie gar nicht stattfand.
Gemeinsame Mittagessen, eine Mutter die kocht und ein Vater der mit mir das Fahrrad repariert oder ein Baumhaus baut – gab es nicht. Ich bekam manchmal abends eine Geschichte vorgelesen oder es wurde auch mal am Wochenende in den Zoo gegangen – aber mein eigentliches Leben fand im Kindergarten statt. Wenn meine Mutter mich dort abholte war es 18 Uhr, zu Hause angekommen musste sie erstmal tausend andere Sachen erledigen, einkaufen, abwaschen, aufräumen, bügeln. Und mein Vater war um die Zeit noch gar nicht da. Bettfertig machen regelte ich allein, dann hörte ich noch Kassetten – und das wars.
Keine Ahnung was in Familien geschieht in denen die Mutter zu Hause ist?!

Auch in der Schule existierte das „Thema“ Familie im klassischen Sinne kaum bis gar nicht. Im zweiten Schuljahr (83/84) überflutete eine Scheidungswelle unsere Klasse. Zu Beginn des Schuljahres waren alle Eltern meiner Mitschüler noch verheiratet gewesen. Ein Jahr später waren es noch weniger als die Hälfte. Nach Abschluss der Grundschule waren nur noch die Eltern von insgesamt drei Schülern (mich eingeschlossen) verheiratet. Ich kam mir irgendwie merkwürdig dabei vor. Warum waren meine Eltern noch nicht geschieden? Stimmte mit ihnen vielleicht etwas nicht?
Während dieser Zeit hatten wir erfahren, dass die Möglichkeit der Scheidung eine neue Errungenschaft gewesen war, die erst seit Kurzem existierte, und etwas, dass Menschen, ganz besonders Frauen, früher nicht tun durften. Auch wenn der Mann sie schlug oder Fremdging. Eine geschiedene Frau galt als etwas Schlechtes.
Und erst vor weniger Zeit hatte die Menschheit erfahren, dass eine Frau kein schlechter Mensch ist, wenn sie sich scheiden lässt – sondern genau das Gegenteil: Eine aufrechte Person, die sich den Problemen des Lebens stellt, sich nicht abhängig macht von einem Mann, sondern ihr Leben selbst in die Hand nimmt!
Ich konnte kaum fassen, dass das nicht schon immer so gesehen wurde...
Was war den mit den Menschen bloß los gewesen?

Auch hier liefert Alice Schwarzer eine scheinbar passende Erklärung:
„Jede geschlagene oder vergewaltigte Frau glaubte lange: Ich bin die einzige. Sie wusste nichts vom Leid der Millionen anderen. Denn die Gewalt in der Familie war ein totales Tabu, bis die Frauenbewegung kam.
Die Familie (...) ist ein Phantom. Sie taugt wenig als Urzelle einer künftigen Gesellschaft, denn sie basiert auf Hierarchie und Abhängigkeit, Macht und Gewalt.
Der Zerfall der traditionellen Familie ist ein langer Prozess (...) die Emanzipation der Frauen hat der patriarchalen Familie endgültig das Fundament entzogen.“

Auch in meinen späteren Teenagerjahren gab es weder Auseinandersetzungen zum Thema Familie oder Mutterschaft. Schwangerschaften waren etwas, das es um jeden preis zu verhindern galt. Nichts Schlimmeres konnte einem Mädchen im Teenageralter geschehen als Schwanger zu werden. Verhütung war das Thema Nr. 1 – ob in der Schule in den Medien oder im Bekanntenkreis. Informationen darüber, was im Fall einer ungewollten Schwangerschaft zu tun war, gab es in Hülle und Fülle. Jugendberatungsstellen, die Budgets für Abtreibungen zur Verfügung hatten, und einen Begleiteten, ohne das Eltern davon etwas mitbekommen sollten, Informationsbroschüren von Pro Familia, die wir im Unterricht erhielten, oder unsere Frauenärzte, welche die Möglichkeit boten, „die Pille danach“ zu verwenden – wie mach ausrechnet, wann und wie genau diese zu verwenden sei, lernten wir ebenfalls in der Schule.

Als ich bereits eine junge Frau war, hatte sich an dieser Sicht nichts verändert. Als ich einmal in einer Runde zusammen mit Kolleginnen meiner Ausbildungsstätte saß und erzählte, dass wenn ich vielleicht mal Kinder hätte, ich sie auch gern selbst betreuen würde, waren sich alle einig, dass dies „Verschwendung“ sei. Ob ich denn gar keinen Stolz hätte. Man erlernt doch keinen anspruchsvollen Beruf um dann nur noch in LALA-Sprache zu kommunizieren. Auch meine Mutter war der Meinung, dass man heute nicht mehr zu Hause bleiben muss, auch wenn es sehr viel schönes hatte und diese Zeit ja nicht „nur“ vergeudet wäre.
Nun, vielleicht hatten sie ja auch irgendwie Recht?
Warum also, sollte ich mir Kinder wünschen? Die ganze zusätzliche Arbeit und das Gehetze, das meine Mutter veranstalten musste um zwischen Feierabend und Kind abholen auch noch einzukaufen, das würde ich mir gerne ersparen. Zwei Menschen im Haus (also Mann und Kind) durch die sich die Hausarbeit auch noch verdreifacht – also Danke aber auch darauf kann ich gut verzichten. Und dann musste man auch noch irgendwie immer mit Trennung oder Scheidung rechnen – und für diesen Fall planen.
Ich hatte so schon (als Single) kaum Zeit meinen Kühlschrank rechtzeitig zu füllen, meine Wäsche zu machen oder Papierkram zu erledigen. Ich kann so schon immer erst um sieben Heim und war erschöpft genug, nachdem ich meine eigenen Sachen geregelt hatte. Ich musste doch alles allein bewältigen und diese Unabhängigkeit zu bewahren war schließlich das wichtigste.
Mit Mitte 20 wusste ich also: es gibt vielleicht Frauen, die das irgendwie hinkriegen – aber ich gehörte nicht dazu! Mir war der bloße Gedanke schon zuviel.
Wozu sollte das auch gut sein? Was würde ich schon verpassen? Einfach mal gar nichts! Ich konnte immer weniger nachvollziehen, dass es überhaupt Leute gab, die Kinder wollen. Meine Freundinnen sahen das genauso wie ich!

Bis heute habe ich das Gefühl, das sich mein Bewusstsein zum Thema Kinder und Familie seit dieser Zeit eigentlich kein bisschen weiterentwickelt hat. Bis Anfang 30 war ich mit der Umsetzung meiner beruflichen Pläne so vollständig beschäftigt, dass ich mir über Kinder und Familie keine großen Gedanken gemacht hatte. Schwanger werden ist das, was es zu verhindern gilt! Und erstaunlicherweise, denke nicht nur ich so.
Vor ungefähr einem Jahr lernte ich das erste Mal eine Frau in meinem Alter kennen, die heiraten wollte und bereits schwanger war. Wir kamen ins Gespräch und ich hatte viele Fragen an sie. Genau wie ich hatte sie kein Bild und keine Vorstellungen davon, wie die Zeit mit Kind aussehen könnte. Und obwohl das Kind geplant und die Schwangerschaft gewollt war, fühlte sie sich wie eine 15jährige, die nicht „aufgepasst“ hatte. Die innere Schranke, die dafür zuständig war auf gar keinen Fall schwanger zu werden war noch immer aktiv. Begegnete sie ihren Eltern, so fühlte sie sich wie ein Teenager, der die Eltern mit seiner Schwangerschaft in eine schreckliche Situation bringt und sie schämte sich sogar ein bisschen dafür. Ebenso vor ihren Freundinnen, die allesamt weder daran dachten schwanger zu werden, noch mit der Schwangerschaft ihrer Freundin etwas anzufangen wussten. Und auch sie selbst konnte noch immer keinen „echten“ Kinderwunsch fühlen. Sie wusste nur „gar keine Kinder haben, dass möchte ich irgendwie nicht.“
Erstaunlicherweise, hatten ihre Eltern auch fast auf diese Nachricht reagiert, als sei ihre erwachsene Tochter ein unvorsichtiges Kind. Die erste Reaktion: War es gewollt? Wieso denn so früh, heutzutage muss man das doch gar nicht mehr. Du bist doch jetzt erst 32! Ich dachte du möchtest erst „später“ Kinder!
Auch ihre Freundinnen hatten ähnlich reagiert. Und das beliebteste Gesprächsthema war nun die Verhinderung von Schwangerschaftsstreifen und ab wann man wieder in den Beruf einsteigen sollte. Natürlich so schnell wie möglich!
Das war es worum es ging, wenn man sich erlaubte überhaupt Kinder zu bekommen.
Wenn man sich gestattete, das Verbot zu übertreten.


Also wünschte ich mir einfach keine Kinder – und dennoch, etwas in mir flüsterte:
Ich möchte nicht keine Kinder haben...

Ich glaube, dass es mal Anlagen in mir für einen Kinderwunsch gegeben haben muss. Schließlich spielte ich als kleines Mädchen täglich „Mutter und Kind“ oder schob meine Puppen im Kinderwagen vor mir her. Jedoch glaube ich, dass diese Anlage über die Jahre verkümmert ist und meine Seele die einzige Möglichkeit hatte mir diesen verschwurbelten Wunsch zu schicken, damit ich sie überhaupt hören kann.

3 Kommentare:

  1. Rolf aus Lilienthal16. August 2009 um 20:38

    Die beiden Kernaussagen "Ich habe keinen Kinderwunsch" sowie "Ich möchte nicht keine Kinder haben" sind mir bei deutschen Frauen sehr oft begegnet, insbesondere bei deutschen Frauen mit akademischer Ausbildung.

    Selten wurde dieser Widerspruch aber so deutlich zum Ausdruck gebracht, wie hier im Blog.

    Vielen Dank dafür.

    Aber welche Auswirkung haben solche Denkstrukturen eigentlich auf jene Kinder, die doch noch zur Welt kommen?

    Die wenigen aber sorgfältig durchgeplanten Kinder, die ich in Akademiker-Familien kenne, erleben oftmals von klein auf, dass sie in nicht unerheblichem Maß der beruflichen Entwicklung der Eltern im Weg stehen.

    Welche Form von Karriere diese Kinder dann machen, wenn sie sich vielleicht nicht so planmäßig entwickeln, wie ihre Eltern, kann man sich ungefähr ausmalen.

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  2. Wie alle ihre Berichte so ist auch dieser sehr gut geschrieben, macht nachdenklich und gewährt mir einen neuen Blickwinkel auf unsere gesellschaftliche Realität.

    Ich schließe mich meinem Vorschreiber an und möchte mich für ihre ehrlichen Erfahrungsberichte bedanken.

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  3. Sehr geehrte Dame,
    ich bin ein Mnn der erst sehr spät Vater geworden ist.
    Groß geworden in einme wohl ähnlichen Milieu wie Sie, meine Mutter und meine Schwester vertraten sehr die feministische Idee, gab es für mich lange auch keinen Grund für Kinder.
    Irgendwann lernte ich meine heutige Frau kennen, der Satz : Du bist der Richtige Vater für meine Kinder war dann sehr unerwartet aber auch sehr schön.
    Wir haben leider nur einen Sohn, mehr wolltens nicht werden.
    Seit ein paar Monaten bin ich Hausmann und ich glaube immer mehr, daß Alice S. nicht viel Gutes für die Frauen will. Ich denke eher, sie ist von Neid zerfressen weil sie als Lesbe keine Kinder bzw. "normale Familie" haben konnte.
    Ich weiß nicht welchen Beruf Sie haben, ich kann für mich als Nichtakademiker sagen, daß es allemal spannender und abwechslungsreicher ist sein Kind zu erziehen als sich in Jobs aufzureiben.
    Und weniger stressig ist es auch, und da weiß ich wovon ich rede.
    Die Lala Sprechzeit geht übrigens recht schnell vorbei.
    Lange Rede kurzter Sinn:
    In meinen Augen haben die Frauen nichts gewonnen, das Gegenteil ist der Fall.
    Statt die Zeit und Ruhe mit den Kindern zu geniessen wird ihnen weisgemacht sie müssten unbedingt einen Job haben und versäumen das schönste was es gibt: Die eigenen Kinder groß werden zu sehen.

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