Montag, 20. Oktober 2008

Rätsel der Kindheit

Tja, wie fang ich denn nun am besten an? Mein Anliegen beinhaltet zu viele Vorgänge die so sehr in sich und miteinander verwoben sind, dass es keinen Anfang zu geben scheint. Ich stehe vor einer kleinen Herausforderung...

Ich beginne einfach mal irgendwie, es wird sich schon eine Richtung herauskristallisieren, der ich dann folgen kann.


Kindergarten!

Mit vier Jahren kam ich, auch auf eigenen Wunsch, in den Kindergarten.
Das war 1980! Das Bewusstsein der Menschen um mich herum war absolut GRÜN (ohne dies politisch zu meinen, ich war ja ein Kind). Es ging eigentlich 24 Stunden um nichts anderes als Umweltschutz und Umweltverschmutzung und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern – diese Themen beherrschten auch unseren Sandkasten. Somit erscheint mir die neuerlich wieder aufgewärmte Umweltdebatte als müßig. Ich wurde, seit mein Bewusstsein erwachte, damit voll gepumpt! Das nur nebenbei.
Interessanter für mein Anliegen ist das Thema Frauen und Männer, bzw. Mädchen und Jungs.
Im Kindergarten wurde die Gruppe mit den Jungs geteilt – was wirklich gut funktionierte, denn man kam sich eigentlich nie störend in die Quere. Mit den Puppen wollten die Jungs sowieso nicht spielen, wir auch nicht mit der Carrera-Bahn und in der Lego-Ecke war immer genug Platz für alle zusammen. Wir waren gut befreundet und eine wirklich eingeschworene Gemeinschaft. Wir fühlten uns als Gruppe.
Es gab ja auch viele Gemeinsamkeiten. Wir mochten alle dieselbe Musik (Nena und die "Neue Deutsche Welle"), am Samstag Abend sahen wir alle die selben Sendungen im Fernsehen, welche dann das Spiel der darauf folgenden Woche beherrschten.
Wir mochten dieselben Filme in den Kinos – eben die Kinderfilme – und wir lasen die selben Comics.
Wir (und nicht die Erwachsenen!) waren uns in allen Punkten einig: Es gibt Dinge, die „gehören“ den Mädchen, Dinge die „gehören“ den Jungs und es gibt Dinge, die sind quasi für alle da.

In der Schule nebenan, sah es allerdings ganz anders aus. Dieser Qualitätsunterschied des Zusammenlebens bereitete mir schon als Kind Kopfzerbrechen, denn anders als im Kindergarten waren die Jungs in der Schule für uns Mädchen kaum zu ertragen, obwohl sich die Schulklassen den Kindergartengruppen fast auf jedes Kind glichen!
Jungs mit denen ich im Kindergarten oder in Freizeit gerne spielte waren in der Schule kaum wieder zuerkennen und benahmen sich furchtbar anstrengend!
Mirko, Patrick, Timo und Jens, Jungen aus der Nachbarschaft und dem Kindergarten waren wirklich gute Spielkameraden. Wir fuhren zusammen Fahrrad, kletterten auf Bäume oder ärgerten die Nachbarn. Wir tauschten WWF-Pannini Bildchen und liehen uns TKKG-Kassetten. Wir waren ein gut funktionierendes Team und richtige Freunde.
Kaum eine freie Minute am Nachmittag, die wir Mädchen nicht zusammen mit ihnen verbrachten.

Als Klassenkameraden jedoch mussten wir uns ständig – und das wirklich täglich, in jeder Pause und über Jahre hinweg von Jungs ärgern lassen. Uns wurden die Brote geklaut, die Federtaschen versteckt, bescheuerte Namen gegeben.
Treten unterm Tisch während des Unterrichts war keine Seltenheit.
Kurz: Es ging darum uns Mädchen zu ärgern – ganz vorn mit dabei: Mirko, Patrick, Timo und Jens!
Wohlgemerkt, die selben Jungs mit der wir im Kindergarten und in der Freizeit so gut harmonierten.
In der Schule kamen sie mir fast wie Fremde vor.

Woran liegt das bloß? In meiner Kindheit fragte ich mich das immer und immer wieder! Ein absolutes Rätsel.

Und vor allem, wie sollten wir unseren Freunden begegnen, um uns verteidigen?
Die Lehrer waren uns keine Hilfe. Es hieß permanent wir sollen den Jungs bloß nicht zeigen, dass ihr Verhalten uns ärgert – denn dann hätten sie ja erreicht was sie wollen. Ein frustrierender Ratschlag, der manchmal dazu führte, dass wir Tritte so lang ignorierten, bis man blaue Flecken bekam.
Wir wollten uns nicht ärgern lassen und hofften auf den Ratschlag der Lehrer. Er bewirkte jedoch nur, dass man am Ende verletzt war, nichts gegessen hatte (das Pausenbrot war ja geklaut) und die Jungs uns auch noch auslachten, weil wir ihnen nichts entgegenzusetzen hatten als Tränen.
Das mag vielleicht nach harmlosem Kinderkram klingen, jedoch spreche ich hier von täglichen Auseinandersetzungen über mehr als vier Jahre. Und ich spreche vor allem von jeder Pause, auch den kleinen. Ich denke jedes Kind braucht diese Pausen um im Spiel oder einfach nur durchs Ausruhen Kraft zu tanken. Für uns Mädchen war daran jedoch nicht zu denken.
Vielleicht lag hier der Grundstein, der später zu der irrigen Annahme führte, dass alle Frauen „gut“ und Opfer der „bösen Männer“ sein sollten. In der Schule war es schließlich so. SIE ärgerten UNS. Und wir kamen nicht dagegen an...

...Jedoch konnte ich nie ganz vergessen, dass ihr Verhalten im Kindergarten und auf dem Spielplatz so absolut anders war!

Die Probleme des Miteinanders in der Schule beschränkten sich jedoch nicht ausschließlich auf die Pausen. Besonders hervorheben möchte ich noch den Sport – und Mathematikunterricht.
Es war grässlich. Ganz ehrlich: in Mathe konnte man als Mädchen machen was man wollte. Die Jungs waren immer schneller und besser. Die Lehrer hatten meist nicht Geduld auf uns Mädchen einzugehen und so gestaltete sich der Unterricht mit den Jungs wie von selbst. Bei mir führte dies irgendwann dazu, mich weder geistig noch irgendwie anders am Mathematik Unterricht zu beteiligen. Ich wusste nicht wozu? Man rechnete wie blöde und hatte am Ende des Unterrichts vielleicht gerade mal verstanden worum es überhaupt gehen sollte – aber die Jungs waren schon zwei Schritte weiter und der Lehrer genervt von den schlechteren Mädchen.

Da mag man sich fast wieder fühlen wie das Opfer eines selbstgerechten Geschlechts, nicht wahr?!

Aber gut, mit einer vier in Mathe kann man leben... Anders war es im Sportunterricht, in dem man wieder mit körperlichen Schmerzen rechnen musste – besonders bei Ballspielen. Die Jungs warfen so furchtbar hart, dass man als Mädchen wirklich nichts anderes tun konnte als sich zu ducken, anstatt einen Ball auch noch zu fangen – (das bedeutete von der Jungsseite wieder nerviges Gelächter) abgesehen davon ist Bälle fangen verdammt schwer. Ich hab es jedenfalls gehasst, weil es mir meist nicht gelingen wollte und ich am Ende mehr als einmal mit verstauchten Handgelenken dastand! Ich habe immer bewundert, wie man es schafft, die Hände so zu positionieren, dass man diese schnellen, harten Bälle auch noch fängt (ebenso über die Fähigkeit bestimme Ziele zu treffen).
Ich staunte, wieso die Jungs das so gut konnten. Zudem war für mich so gut wie jeder Ball hart und schnell und unfangbar!
Wir waren dem nicht gewachsen.
Dasselbe gilt für so gut wie jedes Sportgerät und jede Sportart! Und nicht das man nun annimmt, ich wäre einfach nur unsportlich. Ich wurde im zarten Alter von sechs Jahren an eine Schule für besonders sportbegabte Mädchen empfohlen! (Meine Mutter hatte dies abgelehnt, da es tägliches Nachmittägliches Training bedeutet hätte – sie wollte mir den Leistungsdruck nicht zumuten.)
Ich möchte mit der Schilderung des Sportunterrichts veranschaulichen, wie sich diese Unterrichtsstunden für uns Mädchen darstellten und welche Auswirkungen dies auf unsere Wahrnehmung von den Jungs hatte!

Um uns herum tobten Debatten zum Thema Emanzipation und Unterdrückung der Frauen und es fühlte sich irgendwie so an, als könnten wir Mädchen tatsächlich Opfer einer Unterdrückunsmaschinerie sein – denn warum sollten diese Jungs sonst ständig so gemeine, ungerechte und garstige Dinge mit uns anstellen?
Bei der lauten Diskussion (und JA, die bekommt man auch mit sechs – zehn Jahren sehr genau mit) vergas ich mit der Zeit fast eine meiner liebsten Fragen:

Warum waren die Jungs im Kindergarten und auf dem Spielplatz so anders: kameradschaftlich, freundlich, rücksichtsvoll und einfach nett?

1 Kommentar:

  1. "Warum waren die Jungs im Kindergarten und auf dem Spielplatz so anders: kameradschaftlich, freundlich, rücksichtsvoll und einfach nett?"

    Ich denke, dass es daran gelegen hat, dass männliche wie weibliche Kinder nun einmal verschiedene Entwicklungsphasen durchmachen und dazu noch unter verschiedenen sozialen Bedingungen verschieden reagieren.

    Ihr Text ist sehr interessant - Mädchen ist von klein auf die Überlegenheit des Jungs in der Körperkraft, im Sport, beim Werfen und Treffen, beim Bälle fangen sowie in der Mathematik unheimlich.

    Als Mann dagegen empfindet man Frauen erst dann als unheimlich, wenn man(n) erwachsen ist. Denn Frauen besitzen auch etwas, was dazu führt, dass sie von vielen Männern dafür gehasst und gefürchtet werden.

    Wissen Sie was?

    Es hat biologisch gesehen letztendlich dieselbe Ursache, die dem Geschlechtsunterschied in der Körpergröße und Körperkraft zugrunde liegt!

    Herzliche Grüße von einem zweibeinigen Säugetiermännchen, das noch nie eine Frau geschlagen oder getreten hat, nie einem Mädchen das Butterbrot geklaut hat, beim Sport immer Rücksicht genommen hat, und dennoch oft als Kind, als Jugendlicher und als Erwachsener sich gefragt hat, was es den Frauen eigentlich getan hat, dass sie ihm immer so feindlich gesonnen sind.

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