Freitag, 24. Oktober 2008

Ausbildung

Meine erste Ausbildung absolvierte ich Mitte der 90er auf einer Berufsfachschule für Kinderpflege in Hamburg. Bei diesem Beruf geht es um die Betreuung so genannter „Elementarkinder“ im Alter von drei bis sechs Jahren. Die Ausbildung beinhaltet zudem den Spezialbereich „Kinderkrippe“ für die Kinder von null bis drei Jahren.
Unterrichtet wurden wir in Pädagogik, Psychologie, Kinderliteratur und Fachbezogenen Naturwissenschaften sowie allgemein bildenden Fächern wie Deutsch, Mathematik oder Politik.
Ich bin also gelernte Fachkraft, wenn es um die Betreuung von null bis sechs jährigen Kindern geht.
Natürlich behandelten wir auch das Thema „Bindung zwischen Mutter und Kind“ und erfuhren dass diese bereits im Mutterleib beginnt. Gleich zu Beginn der Ausbildung lernten wir also, dass es in diesem Beruf nicht darum geht, diese Bindungsperson zu ersetzen, sondern eine betreuende und pflegende Funktion auszuüben. Die eigentliche Bindungsperson sollte schließlich täglich mindestens vier Stunden Kontakt zum Kind haben: über Blick -, Körper – sowie Sprechkontakt. Diese Anforderungen zu erfüllen wäre bei zwei Betreuerinnen und zwölf Krippenkindern rein rechnerisch schon gar nicht möglich.
Hinzu kommt, dass die Kinder in den ersten drei Lebensjahren unterschiedliche Phasen durchlaufen die mit unterschiedlichen Bedürfnissen einhergehen. Zur optimalen Entwicklung war der innige Kontakt zwischen Mutter und Kind während dieser Phasen also unabdingbar.
Als nun mein Krippenpraktikum im Rahmen der Ausbildung begann war ich dennoch frohen Mutes, denn die meisten Kinder verbrachten nur die Vormittage bei uns – es blieb also genug Zeit für die Mütter ihrer Aufgabe als Bindungsperson nachzukommen.
Ich kann mich noch sehr gut an meine ersten Stunden in der Krippe erinnern. Ich betrat den hellen, freundlichen Raum und hörte als erstes: Nichts!
Es war überwältigend still, trotz der zwölf kleinen Kinder die sich in der Gruppe aufhielten. Kein Lachen, kein Schreien, kein Glucksen, kein Brabbeln. Angesichts der Lautstärke im Bereich der drei bis sechs Jährigen eine unglaubliche Erfahrung.
Ich setzte mich dazu und beobachtete erstmal. Die meisten Kinder interessierten sich eigentlich kaum für mich, ein kurzer Blick, das wars. Bis auf ein Mädchen (ca. 2 Jahre), das auf mich zu getapst kam, mich sogleich umarmte und kaum noch losließ.
Über die Wochen viel mir auf, dass sie das bei jedem Menschen tat, der die Gruppe betrat. Eltern, Kollegen, Fremde.
Wir hatten einen einfachen Tagesablauf. Für die „älteren“ gab es Frühstück, Mittag und Abendbrot und die ganz Kleinen (insgesamt vier Babys kaum zwei Monate alt) bekamen ihr Fläschchen. Das wurde nun zu meiner festen Aufgabe, da die beiden Betreuerinnen diese Zeit dann anders nutzen konnten und ich mich den Babys umso intensiver zuwenden konnte.
Wir betrachteten mit den Kleinen Bilderbücher, sangen mit ihnen, gingen auf den Spielplatz, wechselten Windeln. Eigentlich klappte alles ganz gut und wenn man alle Kinder zusammentrommelte konnte man sich ihnen auch intensiv zuwenden.
Eigentlich machte es Freude, mit diesen niedlichen Wesen zu arbeiten – nur diese merkwürdige Stille und Teilnahmslosigkeit warf Fragen auf. Bald sprach ich eine der Betreuerinnen darauf an und sie erklärte mir, dass das daran läge, dass so kleine Kinder noch nicht in der Lage sind miteinander zu spielen. Sie sind damit beschäftigt einen Ball zu werfen und erfahren erst einmal wie sich ein Ball anfühlt, wie man ihn schubsen oder das man ihn überhaupt bewegen kann. Erst wenn diese Erfahrungen gemacht sind beginnt ab ca. drei Jahren das gemeinsame, interaktive Spiel. Daher die absolute Ruhe.
Nun, damals reichte mir das als Antwort. Klingt ja auch erstmal logisch.

Im weiterführenden Unterricht ging es natürlich auch um das Thema Stillen. Schließlich war das in der Krippe nicht möglich. Wir erfuhren, dass es nichts, aber auch wirklich nichts gibt, was das Stillen und die damit verbundenen Abläufe im Körper und Geist des Babys ersetzen kann. Das erstaunte uns. Wir dachten eher "Milch ist Milch" und wurden schnell eines Besseren belehrt. Ich will jetzt nicht so wahnsinnig viel darüber erklären, aber am Ende der Stunde waren wir uns darüber einig, das es keine Alternative gibt.
Auch ein Moment, an den ich mich noch genau erinnern kann. Vor allem an die Lehrerin, die uns unterrichtete. Sie bedauerte es sehr, uns leider nichts anderes sagen zu können und in jedem ihrer Sätze tauchte dieses „leider“ auf. Es bereitete ihr sichtliches Unbehagen, dass Muttermilch der eigenen Mutter so unverzichtbar für ein Neugeborenes ist.
Dieses Unbehagen schwappte auf uns über: Offenbar war dies eine schlechte Nachricht.
Nun, eigentlich war ich zunächst begeistert gewesen über dieses Naturphänomen. Ist doch der Wahnsinn. Heißt also doch nicht umsonst „Mutter Erde“. Erst macht man Leben und dann hat man auch noch dass beste Mittel um es gedeihen zu lassen. Eigentlich könnte einen dass doch mit Stolz oder Zufriedenheit erfüllen.
Aber scheinbar war dies eine schlechte Nachricht.

Dieselbe Lehrerin berichtete uns auch von der bahnbrechenden Erkenntnis, dass Jungen und Mädchen von Geburt an gleich waren. Alle Unterschiede seien rein körperlicher Natur (biologisches Geschlecht, engl. „sex“). Man solle sich beide Gehirne vorstellen, wie ein weißes Blatt Papier, dass bei der Geburt noch völlig unbeschrieben ist.
Alles was danach kommt an Erfahrungen, an Gedanken und Wahrnehmungen sei nun von der Gesellschaft, den Eltern und deren Erwartungen dort aufgeschrieben worden. (vom biologischen abgelöstes, also sozial und kulturell empfundenes Geschlecht, engl. „gender“) So z.B. auch die Einteilung in Mädchen und Jungs über das Biologische hinaus. Die Tatsache, das Mädchen und Jungs sich unterschiedlich verhielten und unterschiedliche Vorlieben haben, sei also gar nicht vorhanden – sondern die Folge der Gesellschaft, die Jungs und Mädchen feste Rollen „zuschrieb“. Jede Art dieser „Zuschreibung“ bedeute Zwang und Amputation und mache unglücklich. So litten Männer z.B. ein Leben lang darunter „nicht weinen zu dürfen.“ – was sogar zu seelischen Krankheiten führen konnte. Als angehende Kinderpflegerinnen sei es nun unsere absolute Pflicht, auf Zuschreibungen jeglicher Art zu verzichten. Keine Klischees, keine Rollen.
Individuen – darum ging es. Den Menschen als solchen wahrnehmen.
Das klang für mich absolut überzeugend! Und mir taten die Männer leid, die es noch nicht geschafft hatten, sich von diesen Zwängen zu befreien. Wir Frauen hatten diese schließlich längst abgelegt. Für uns hatte niemand irgendeine Rolle vorgesehen.
Wir durften jeden Beruf ergreifen, der uns gefiel, wir durften Karriere machen. Wir durften unsere Lebenspartner frei wählen und unsere Sexualität ohne moralische Zwänge frei leben. Wir hatten alle Rechte, alle Chancen. Wir durften sogar in den Krieg ziehen, professionellen Fußball spielen. Wir durften keine Kinder haben wollen, wir durften Kinder haben und gleichzeitig Karriere machen. Wir durften frech sein, laut – einfach alles! Das wollten wir auch. Und was wir außerdem wollten war der Gesellschaft bereits bekannt und sie berücksichtigte es. Wir wollten Partner, die sich den Haushalt mit uns teilten uns nicht für unsere Schönheit liebten sondern für unsere Persönlichkeit. Wir wollten vollwertige, anerkannte Mitglieder der Gesellschaft sein, finanziell unabhängig vom jeweiligen Partner. Wir wollten flexibel sein in allen Lebenslagen. Und auf alle Bedürfnisse wurde vollkommene Rücksicht genommen. Niemand versuchte uns unsere Freiheit zu nehmen! Im Gegenteil!
In dieser Zeit hörte ich auch erstmals das Wort „Lebensabschnittspartner“ (unser Deutschlehrer stellte uns mit dieser Bezeichnung seine Freundin vor) – es machte gleich klar, das es sich nur um eine zeitlich begrenzte Beziehung halten konnte, die sich mit ändernden Umständen auch ganz schnell wieder auflösen konnte.
Zwar missfiel mir dieses Wort irgendwie (vor allem die Vorstellung, dass man mich eines Tages so Bezeichnen könnte), aber so waren nun mal unsere Zeiten. Absolute Freiheit für jeden. Klang richtig und gut. Keine Unterdrückung für niemanden mehr! Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit durften sich jeder frei entfalten!
Und die Männer? Worunter hatten sie seit Jahhunderten gelitten? Ihre Gehirne waren doch ebenso, wie vor kurzer zeit noch die unseren, durch Zwänge gestutzt worden. Wurde ihnen eingeimpft, dass es "unmännlich" sei zu Bügeln, sein Zimmer rosa zu streichen oder sich zu wünschen, dass die Dame sie mit Blumen zum Date abholt?
Wollten sie sich, genau so fühlen wie wir: waren - wir - gleich?
Es würde interessant sein dies zu erfahren und für mich war dies der nächste logische Schritt, den unsere Gesellschaft gehen würde. Gespannt wartete ich nun auf die Forderungen der Männer!

Worum es beim Frau sein ging, hatte ich ja spätestens seit dieser Ausbildung schwarz auf weiß. Es ging darum auf keinen Fall irgendeine Rolle zu kreieren. Es ging darum nichts „typisch Weibliches“ starr zu fordern. Die menschliche Persönlichkeit nicht zu stutzen.

Was etwas „typisch Weibliches“ war, dass wussten wir bereits genau. Seit den eigenen Kindertagen war uns ja vermittelt worden, dass alles „typisch Weibliche“ automatisch Sklaventum bedeutete. Wahrscheinlich fühlte meine Lehrerin sich deshalb so unwohl: Stillen und Mutterschaft stehen selbstverständlich in der ersten Reihe der gefährlichen Rolle der Weiblichkeit.

2 Kommentare:

  1. Wunderbar geschrieben. Diese Widersprüche die du aufzeigst, klarer geht es einfach nicht zu sagen.

    Der Satz macht mich allerdings stutzig.
    "Und mit taten die Männer leid, die es noch nicht geschafft hatten, sich von diesen Zwängen zu befreien"

    Ich denke es hat sich einfach in der Erziehung von Jungs nichts getan und auch die Vorbilder die durch Medien und das Umfeld suggeriert werden helfen diesen nicht dabei für sich einen anderen Weg als den des zukünftigen Ernährers und nennen wir es Verantwortungsträgers zu übernehmen.

    Nicht falsch verstehen, die klassiche Tätigkeit einer Mutter als betreuenden und pflegenden Parts ist genauso wichtig wie der klassische Part des Vaters als Ernährer und Beschützer. Nur das Wertebild, der Massstab mit denen sie gemessen werden hat sich für die Frauen gerade in den letzten 50 Jahren massiv geändert. Als Kind der 80er sage ich zum Schlechten auch wenn das nicht gern gehört wird. Eine Frau kann im Endeffekt treiben und lassen was sie wird, sie gilt immer als stark und selbstbewusst außer sie setzt mehrere Kinder in die Welt und wagt es diese zusammen mit dem Vater aufzuziehen (in den Medien, der öffentlichen Wahrnehmung).

    Nur an der Art und Weise wie Jungs zu Männern erzogen werden ist abgesehen von der Strenge (GOTTSEIDANK) nichts anders als vor 50 Jahren. Junge, schau dass du eine gute Arbeit hast mit der du dich und die Deinen ernähren kannst.
    Seit dem Jäger in der Höhle hat sich daran nichts geändert.

    Ist das besonders fair? Wahrscheinlich nicht, andererseits zeigt sich da vielleicht auch der unterschwellige Überlebenswille der Familie, des Stamms, des Kollektivs.

    Was wäre wenn die ganzen Ingenieure (80% Männer) statt Bau, Maschinenbau, Informatik, Physik etc. zu studieren sich in Fächer einbringen würden die vielleicht für das geistige Niveau der Gesellschaft förderlich wären (Geschichte, Sozialwissenschaften, Sprachen...)??? Statt Talkshows, wissenschaftliche fundierte Geschichtsforschung z.B. ... nur wer hält die TV-Sender am laufen. Wer sorgt für Strom und fließend Wasser, wer hält die Transitwege am laufen. Nichts säh ich lieber in meinen Informatikkursen als 50% Frauenanteil aber die Mädels wollen nicht :-(.

    Das Modell Familie ist seit ca 10.000 B.C. erfolgreich und hat es geschafft eine Population mehrerer 10.000 quer über Afrika und den mittleren Osten verteilten Homo Sapiens Sapiens auf 6+ Millarden zu erhöhen. Es hat Seuchen, Weltkriege, Hungersnöte, planetare Katastrophen überstanden und die Menschheit darin unterstützt nicht nur zur dominierenden Spezies zu werden sondern auch diese Welt in einen Umfang (zum Guten wie Schlechten) zu verändern der vorher noch von keinem Lebensform erreicht wurde. DAS ist die Leistung der Familie. Die Leistung der Mütter und Väter vergangener Generationen.

    Am Ende fragst du was die Männer fordern. Ich kann nur für mich sprechen. Aber mich würde freuen wenn wir in diesem Land oder am besten der gesamten westlichen Hemisphäre aufhören würden ständig aufzurechnen was besser ist. Wenn Frauen wie Schwarzer endlich mal von allen klar denken Menschen gesagt bekämen sie sollten sich zum Teufel schären und ihre Idiologien gleich mitnehmen.

    Die weitreichenden Folgen durch die Politik und die darin herrschenden Idiologien der letzten Jahrzehnte sind nicht abzusehen. Aber eine überalternde Gesellschaft, niedrige Geburtenraten und ein Mitteinander der Menschen wie derzeit läßt nichts gutes erahnen. Ich gebe nicht per se dem Feminismus die Schuld. Das Wahlrecht, freie Berufswahl, Befreiung durch die Bevormundung durch Vater, Bruder, Mann in den Familien war wichtig und richtig. Nur wann können wir die Energien die darauf verwendet werden mal für andere Bereiche nutzen?

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  2. Hallo Brit,
    über Deinen Eintrag im Gästebuch von Eva Herman bin ich auf diese Seiten gestoßen und habe mich freudig hindurchgelesen.
    Schade, daß dieser Blog bisher so wenig Zuspruch fand. An Deinem erfrischenden Schreibstil kann das nicht liegen. Vielleicht solltest Du Deinen Blog besser verlinken, damit man ihn auch findet.

    Du schreibst:

    "Ich kann mich noch sehr gut an meine ersten Stunden in der Krippe erinnern. Ich betrat den hellen, freundlichen Raum und hörte als erstes: Nichts!
    Es war überwältigend still, trotz der zwölf kleinen Kinder die sich in der Gruppe aufhielten. Kein Lachen, kein Schreien, kein Glucksen, kein Brabbeln. Angesichts der Lautstärke im Bereich der drei bis sechs Jährigen eine unglaubliche Erfahrung."

    Hierzu las ich soeben eine Erläuterung von Eva Herman:

    "Während übrigens heutzutage in Hundepensionen akribisch darauf geachtet wird, dass die fremdbetreute Stundenanzahl der Vierbeiner auf keinen Fall ausufern darf, weil das Tierchen ansonsten eventuell tiefenpsychologische Fundamentalstörungen erleiden könnte, ist man in Medien und Politik voll des Enthusiasmus über die 24-Stunden-Kitas für Menschenkinder. Man feiert diese Einrichtung als grandiose Errungenschaft der Moderne. Wie sagte die 24-Stunden-Erzieherin Marlies Helsing in einem Brigitte-Interview unbekümmert? »Die Kinder gewöhnen sich sehr schnell daran!« Sehr interessant, diese Aussage, die von einer Frau stammt, die Kinder ab sechs Monaten betreut. Es scheinen hellsichtige Fähigkeiten zu sein, die diese Betreuungsperson auszuzeichnen scheint. Jeder Bindungsexperte weiß, dass Kleinstkinder, die nicht mehr schreien und aufbegehren, sondern plötzlich still werden und sich anpassen, sich weder an das Szenario gewöhnt haben noch es akzeptieren. Nein, es ist viel schlimmer: Sie haben resigniert! Das ist das schwerste und folgenreichste Trauma, was einem Menschen in diesem Alter passieren kann!"

    http://info.kopp-verlag.de/news/24-stunden-kita-wahnsinn-kleinstkinder-rund-um-die-uhr-fremdbetreut.html

    Mit allen guten Wünschen grüßt Dich

    Ulrich

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