Donnerstag, 10. Juni 2010

Der 30. Geburtstag

Als ich zehn Jahre alt wurde, war ich sehr aufgeregt und stolz: Meine erste „0“. Vor mir lag ein goldenes Tal voller Geheimnisse und ich konnte kaum erwarten es zu durchwandern. Bald würde ich ein Teenager sein und darauf freute ich mich ungemein. Ich würde sein, wie all die Frauen, die ich seit Kindertagen bewunderte und die meine Vorbilder waren: Ich wollte einmal so werden wie Marilyn Monroe, so betörend schön und wundervoll, oder wie Sissi, rein und zart, oder wie Nena laut und lebensfroh. Ich wollte tanzen gehen an Samstag Abenden, tolle weibliche Klamotten tragen und endlich fraulich aussehen.
In einigen Jahren würden mir Jungs den Hof machen, mich umschwärmen und ich dürfte mir einen aussuchen, der mir am besten gefiel und ihn dann heiraten – wow! Nur noch ein paar Jahre ☺

Als ich zwanzig wurde, war ich sehr aufgeregt und stolz: Meine zweite „0“. Vor mir lag eine aufregende Welt voller Abenteuer: Große Städte, die von mir bereist werden wollten. Ein aufregender Job, der glamourös und anspruchsvoll zugleich sein sollte. Ich träumte davon, eine stylische Wohnung in einer hippen Gegend zu mieten, die neusten Klamotten zu tragen, in die angesagtesten Clubs zu gehen und jede Menge erfolgreiche, kreative Menschen kennen zu lernen. Junge, aufregende Männer würden mich daten wollen und tolle Sachen mir mir unternehmen und ich würde mir einen aussuchen, der mir am besten gefiel und eines Tages mit ihm zusammenziehen... wow!

Mit Mitte zwanzig sah ich zum ersten Mal ein Folge der Serie „Sex in the City“, das muss so vor sieben oder acht Jahren gewesen sein. Ja, genauso sollte mein Leben auch sein. Tolle Jobs, tolle Klamotten und auf der Suche nach Mr. Right. Das die Charaktere natürlich sehr überzogen dargestellt wurden und deren ausschweifendes Sexleben nichts mit der Realität zu tun hatten, war mir klar – die Serie diente der Unterhaltung und die unglaublichen Beziehungen die die Mädels da zu den Männern hatten, waren in ihrer Überzeichnung einfach nur lustig – in etwa wie bei einem Quentin Tarantino Film. Für mich jedenfalls. (Auch wenn die Frauen immer wieder gern behaupten, sie würden GENAUSO über Sex reden wie Männer: Es stimmt nicht!) Und doch gab es etwas, dass störte und irgendwie nicht ganz passte: Das Alter der Hauptdarstellerinnen...! Die waren immerhin schon Mitte 30. Mein Leben mit Mitte 30 kann doch nicht genauso verlaufen, wie meines jetzt?! Die Vorstellung jedenfalls, mit 35 noch immer jeden Samstag auszugehen, keinen festen Partner zu haben und in Klamotten rumlaufen, die eigentlich aussahen, als seinen sie für 10 Jahre jüngere Frauen gemacht, gefiel mir nicht. Aber Gut...

...ein paar Jahre später: Ich bin 29 Jahre alt, und zwar zum letzten Mal in meinem Leben. Morgen ist mein 30. Geburtstag und ich fühle eigentlich gar nichts. Die letzten Jahre und Monate hatte ich gefühlte 1000 mal erzählt bekommen, dass das Alter bzw. 30 nur eine Zahl ist. Eine Zahl ohne Inhalt und ohne Bedeutung. Alter sei etwas gefühltes und jeder Mensch über 30 den ich kennen gelernt hatte betonte als erstes, dass er sich ja irgendwie gar nicht so fühle, sondern eher wie Mitte 20, oder so. Nun ja, von daher würde sich für mich ab morgen also einfach mal nichts ändern – alles wie gehabt, immer munter weiter. Dann Gute Nacht und bis morgen...

...Als ich dreißig wurde war ich weder aufgeregt noch stolz: Meine dritte „0“. Vor mir lag – ja, was eigentlich?
Das gleiche was hinter mir lag?! Ich hatte schon länger keine Lust mehr von Freitag bis Sonntag durchzufeiern und kam mir auf den Mädchenklos in Diskotheken schon seit ein bis zwei Jahren vor, wie eine Erzieherin im Kindergarten. Ich genoss es sogar einfach mal Samstags zu Hause zu bleiben und mich AUSZURUHEN, dass kam für mich so unerwartet und war so neu, dass ich es kaum glauben konnte und staunte...
Aber egal, ich wollte ja jetzt eigentlich wissen, was vor mir liegt – bisher hatte ich das immer gewusst und mich gefreut und geträumt von den Dingen, die mich erwarteten – doch diesmal: nichts.
Da war nichts...
Was ist man denn mit 30? Was macht man denn mit 30?
Was kann ich erwarten von den nächsten Jahre? Worauf kann ich hoffen? Sollte ich genau das tun, was ich die letzten zehn Jahre schon getan hatte? So wie die Frauen aus „Sex and the City“?
Sollte ich ab jetzt also damit beschäftigt sein 20 - zu - bleiben???
So tun, als sei ich noch jemand, der ich doch längst nicht mehr war? Das wurde mir in diesem Moment schlagartig bewusst. Eine Veränderung, die schon längst begonnen hatte und die viel mehr mit sich zog, als Samstags nicht in die Disko zu gehen. Ich wachte morgens auf, mein 30. Geburtstag und ich war nicht mehr der selbe Mensch, als der ich gestern noch eingeschlafen war.
Das hatte ich nicht erwartet.
Jeder dem ich begegnet war hatte mir geschworen, dass dieser Geburtstag nichts zu bedeuten hätte, dass man sich so fühlen würde wie immer, und das sich rein gar nichts ändern würde – und da lag ich nun morgens in meinem Bett und war innerhalb von wenigen Stündchen nicht mehr ich – wer war ich nun?
Wer würde ich sein?
Immer noch: nichts! Neben diesem Nichts kletterte ein weiteres irritierendes Gefühl in mir empor, das mir zu groß schien für diesen kleinen Moment und doch war es ganz deutlich zu spüren: Sterblichkeit. Ich fühlte mich mit einem Schlag sterblich und undefinierbaren Gefahren ausgesetzt...
All die Krankheiten von denen man so las und die einen nicht weiter interessierten, weil sie nicht auf Menschen meines Alters fielen waren plötzlich in meine Nähe gerückt worden, und so verhielt es sich auch plötzlich mit anderen Dingen: Existenzangst, Einsamkeit, Älter werden und seine Attraktivität verlieren: alles Dinge, die auf einmal MÖGLICH waren. Ich fühlte mich, als hätte ich ein Höllentor durchschritten.
Überwältigt von dieser neuen Angst, hätte ich mich am liebsten (auch) in die Idee geflüchtet, alles sei wie bisher und ich fühle mich auch noch genau wie gestern – aber das gelang mir nicht und es wäre auch quatsch gewesen. Es war ja DA und man kann seinen Haaren auch keine andere Farbe aufquatschen: Ich bin jetzt 30 und alles ist anders als zuvor! Wahnsinn! Darauf war ich nicht vorbereitet.

Ich machte mich auf die Suche, nach Menschen, die fühlten wie ich, und was soll ich sagen, oh Wunder, ich habe niemanden gefunden!
Wenn ich nun gefragt wurde, wie alt ich bin und ich antwortete: 30 – dann gab es genau EINE Antwort, die JEDER parat hatte: „...aber du fühlst dich doch nicht so!“ Und wenn ich dann antwortetet: "Doch, ich fühl mich wie 30 genauso und zwischen meiner 27jährigen Seele und der jetzigen liegen Welten", konnte ich Menschen in einen regelrechten Schockzustand versetzen und restlos überfordern! Ich habe bis heute NIEMANDEN getroffen, der nicht geschockt ist, wenn ich NICHT sage, ich fühle mich aber wie 27.
Doch was soll ich sagen: es ist die Wahrheit: Ich bin 30 und fühl mich auch so! Als ob man ein schweres Verbrechen gestehen würde, so stehen die Leute vor mir und glotzen mich ratlos an!
Kein 30jähriger kann mir sagen wo im Leben er steht. ALLE die ich traf waren damit beschäftigt 20 zu bleiben. Und damit kann man sich auch gut und gerne 24 Stunden am Tag beschäftigen, denn: Schlank bleiben, jung aussehen, und jeden Samstag durch die Clubs ziehen - das wird richtig mühsam mit der Zeit! Aber es ist das, womit sie alle beschäftigt waren. Auch meine Vorbilder aus Teenietagen, allen voran: Madonna!
Auf meine Bemerkung hin, dass vor mir irgendwie nichts zu liegen scheint, bekam ich den Rat: Das ist doch wunderbar – du bist frei und du kannst die Zeit füllen, mit dem was du willst. Du kannst dir deine Zukunft doch selbst erschaffen:
Tu was du willst!

Tu was du willst? Der Satz kam mir so merkwürdig bekannt vor...
Tu was du willst – was könnte das denn sein? Was kann man sich denn wünschen von NICHTS?
Hatte ich keine Wünsche mehr? Den letzten Wunsch bereits verbraucht?
Klar wünschte ich mir irgendwie, dass alles wieder so wäre wie mit Mitte 20 – aber das ist ein Wunsch ins Leere...

Das war es also, wozu ich geboren war? Um 20 zu werden und 20 zu BLEIBEN! Sonst also, war da nichts? Ich würde jetzt genauso weitermachen müssen wie bisher: Feiern, Daten, darauf hoffen, das der Richtige irgendwann dabei sein würde...
HALT! STOP! MOMENT!
...das der Richtige irgendwann dabei sein würde? War es nicht genau das, was mich die letzten Jahre angetrieben hatte? Taten meine Freundinnen und ich nicht alles, was wir taten, in der Hoffnung, dass der Richtige irgendwann dabei sein würde? - hätte er nicht schon längst dabei – sein – müssen?
Seit wann spielen sich die großen Liebesgeschichten zwischen Mitte 30jährigen ab? Und war es auch nicht das, was mir bei „Sex and the City“ schon immer schräg vorkam?
Hatte ich ihn übersehen? Hatte ich die RICHTIGE Ausfahrt bereits verpasst? Konnte ich deshalb vor mir nichts sehen, weil ich mich bereits verfahren hatte?
Die Vorstellung, jetzt weiter zu suchen – sie stimmte nicht! Falsch, ganz falsch!
Das würde bedeuten: Ich muss JETZT jemanden treffen der mir gefällt, ich muss ihm gefallen, dann müssen wir mindestens zwei Jahre zusammen sein, bevor wir vielleicht eine Familie planen, was ist wenn wir dann erst merken, wir passen doch nicht zusammen? Dann wieder einen suchen? Was, wenn es noch drei Jahre dauert bis ich ihn finde? Und der sich dann doch als der falsche entpuppt? Genauso genommen hieße das: Der nächste MUSS der Richtige sein. Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass der Nächste der Richtige ist, wenn er doch bis jetzt auch noch nicht dabei war??? Er muss also schon da gewesen sein, doch höchstwahrscheinlich hab ich ihn übersehen??? Ist das das „Ticken der biologischen Uhr“ von der sie immer alle reden? PANIK!!!

...und wieso behaupten ALLE Weiber eigentlich immer noch allen ernstes, dass man keinen Mann braucht um im Leben wirklich glücklich zu sein?!